Umfragen sind das Lebenselixier von Politik und Journalismus. Nahezu täglich kommen in der Konkurrenz um die beste Leserei des Wählerwillens Umfragen heraus und wie sollte es anders sein, steht die Kanzlerin-Partei meist im Mittelpunkt des Interesses. Spiegel online titelte dann am Sonntag: „Union fällt in Umfrage auf tiefsten Wert seit 2012“ und meinte wohl eher, Merkel sei am Tiefpunkt ihrer Kanzlerschaft.
Umfragewerte …
… sind wohl eher so etwas wie die Astrologie der Politik. Sie spiegeln zwar eine Stimmung in der Bevölkerung wieder. Die berühmte Sonntagsfrage ist jedoch lediglich eine Momentaufnahme, deren Rohdaten seitens der Umfrageinstitute gewichtet und geglättet werden.
Merkels Werte im Lichte der Ereignisse
Merkels derzeitige Umfrage- und Beliebtheitswerte müssen im Lichte der aktuellen Situation des massenhaften Zustroms von Flüchtlingen gesehen werden. Ihre Politik des Abwartens und des Ausgleiches, der sie in zwei vollkommen unterschiedliche Koalitionskonstellationen geführt hat, kommt bei der Bevölkerung im Grunde – weitgehend parteiübergreifend – an. Ihre präsidialer Stil sorgt im Bund dafür, dass die Wähler sich mitgenommen fühlen und es sind dabei ihre Auftritte im Juli in Rostock, die ihr trotz aller Häme im Internet bei der Bevölkerung Sympathien ein heischen. Sie vermitteln: die Kanzlerin entscheidet kühl und sachlich, aber sie kann auf Menschen auch zugehen und mitfühlen.
Merkel ist jedoch derzeit in einem grundsätzlichen Dilemma, die ihre Umfrage- und Beliebtheitswerte abschmelzen lassen. Ihre Flüchtlingspolitik der offenen Tore und des Willkommens sind Politiken, die eher von Grünen und Linken, nicht jedoch von einer konservativen Kanzlerin zu erwarten gewesen wären. Nicht nur der Widerspruch des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer macht dies deutlich, sondern auch der Protest der Basis der CDU. Der Brief der CDU-Basisfunktionäre macht nicht nur die Sorgen der CDU selbst deutlich, sondern greift auch Befürchtungen in der Bevölkerung, die trotz aller Willkommens-Euphorie bestehen. Insbesondere die Überforderung der gesellschaftlichen und staatlichen Stützungssysteme steht hier im Mittelpunkt.
Kümmerin
Merkel vermittelt durch Auftritte wie in Rostock das Image, sich um die Probleme zu kümmern. Dies war, Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gut Leben in Deutschland“ kam die Kanzlerin dem Volk so nah, wie bisher kein Bundeskanzler. Sie hört Menschen zu, gibt Ratschläge und zeigt, dass ihr die Sorgen der Menschen nicht egal sind. Die Bevölkerung nimmt ihr dies ab. Sie kann zwar nicht jedes Problem lösen, aber sie nimmt sie auf.
Die Kanzlerin hat dadurch bis heute ein gewaltiges Image gewonnen und die Bezeichnung „Mutti“ ist nicht nur als Spott, sondern durchaus auch als Respektsbezeichnung zu sehen. Gleichzeitig wird ihr durch die Lösung der Finanzkrise nach 2007 eine international nachgewiesene Problemlösungskompetenz zugeschrieben, die gerade in 2015 mit Härte gegenüber Vertragsbrüchen verbunden ist. Als Merkel Griechenland unter Premier Tspiras zwar weiterhin die offene Hand anbot, aber die Einhaltung von Vereinbarungen anmahnte, fühlten sich die Deutschen mit ihren Interessen vertreten.
Die Anerkennung ging dabei über die Parteigrenzen weit hinaus bis weit in die Wählerschaft von SPD und Grünen (auch: KAS Wahlanalyse 2013). Der Verlust in den aktuellen Umfragen, der unstreitbar auf ihre Flüchtlingspolitik zurück zu führen ist, ist deshalb auch ein Verlust auf der rechten Seite der Wählerschaft. In den konservativen Kreisen von CDU und CSU geht die Befürchtung vor der Identität des Landes um und damit verbunden ist die Forderung nach einer Begrenzung der Flüchtlingszahlen – was Merkel mit Hinweis auf das Grundgesetz zu Recht zurück weist.
Es sind aber gerade die Verluste, die die CDU-Vorsitzende nicht zu scheuen braucht – sie sind temporär. Sie haben keine Ausweichmöglichkeit, zumal gerade die SPD mit der Kanzlerin in dieser Frage auf einer Linie liegt. Denn die Wahl der extremen Rechten kommt auch für diese Gruppe nicht in Frage. Die Abwendung von der CDU und das Abrutschen in den Umfragen ist daher mehr als Warnschuss von dieser Gruppe zu sehen, von der auch SPD und die Opposition bislang nicht profitieren konnte.
Bundestagswahl 2017 fest im Blick
Merkel hat die kommende Bundestagswahl fest im Griff und auch bereits deutlich gemacht,dass sie erneut als Spitzenkandidatin antreten will. Dies hat nicht nur etwas mit dem Ausfall ihrer beiden Kronprinzen de Maiziere und von der Leyen zu tun, sondern auch mit dem Gefühl, unverzichtbar zu sein. Tatsächlich fehlt es auch an einer realen Alternative.
Merkel sieht die bestehenden Koalitionsoptionen und hat berechtigte Zweifel, dass die FDP wieder in das Parlament zurückkehrt. Ihre Politik folgt daher nicht nur ihrer inhaltlichen Überzeugung, sondern auch dem Ziel der Öffnung für neue Koalitionsoptionen. Die CDU-Vorsitzende war bereits bei der Bildung ihrer ersten Koalition 2005 offen, mit den Grünen zusammen zu gehen und eine Jamaika Koalition zu bilden. Bereits einmal, 2006 in Fragen der Gesundheitsreform, hat sie ein Thema beiseite geräumt, um die sich koalitionsmässig zu orientieren. Und auch 2012 räumte sie nach dem Atomunfall von Fukushima schnell eine Position, als die öffentliche Meinung sich gegen sie zu drehen drohte.
Die Flüchtlingspolitik bietet hier neben der Demonstration einer Politik mit Herz auch die Chance, ihre Koalitionsoptionen auf die Grünen zu verbreitern.
Fazit
Das Abrutschen von Merkel in den Beliebtheitswerten und der Umfragewerte der Union ist für die Kanzlerin keine dramatische Situation. Einerseits kann gegen CDU und CSU derzeit keine Regierung gebildet werden und andererseits handelt es sich um eine Momentaufnahme, deren Korrektur zwei Jahre Zeit hat.
Bislang sieht alles danach aus, als wäre Angela Merkel auch über 2017 Bundeskanzlerin und hat die Chance, die Amtszeit ihres Ziehvaters Helmut Kohl einzustellen.
Wer zufaellig in den Verteiler von abgeordnetenwatch.de geraten ist, erhaelt regelmaessig Bettelemails, man moege doch schnell ganz viel Geld spenden. abgeordnetenwatch ist jener kleine Verein, der aus einer Hamburger Initiative fuer Fragen an Abgeordnete der Hamburger Buergerschaft erwachsen ist. Der Verein hat dabei in der Vergangenheit zu einem intensiveren Dialog zwischen Buergern und Abgeordneten beigetragen und bietet sein Angebot zwischenzeitlich nicht nur fuer Hamburger Buerger an, sondern nunmehr bis hinunter auf die kommunale Ebene.
Dieser Erfolg scheint den Gruenden Gregor Hackmack und Boris Hekele aber zwischenzeitlich zu Kopf gestiegen zu sein. Wehrt sich ein Abgeordneter gegen das Monopol der Fragenplattform des linkslastigen Vereins, so wird dieser als Feind der Demokratie verfolgt und gestellt. Dabei konzentriert sich der Verein, der die Herkunft seiner finanziellen Mittel nicht immer ganz genau zu erklaeren vermag, aber nicht mehr nur auf das klassische Fragen-Antwort-Spiel, sondern fuehlt sich als nicht legitimierter Watchdog der Demokratie.
Bereits in der Vergangenheit sind die Gebrueder “Wir retten die Demokratie” mit ihren Bettelemails dadurch ausgefallen, dass sie auf der Welle vermeintlicher Skandale geschwommen sind und diese weiter aufzubauchen versucht haben. Nicht etwa, weil es ihnen um die Wahrheit und die Aufklaerung ging, sondern weil es ihnen um das eigene Saeckchen ging, welches mit den angeforderten Spenden aufgebessert werden sollte. Auffaellig dabei: Es betrifft meist Union und FDP. Die Solarspenden der Gruenen oder der kommerzielle Komplex der SPD interessiert die beiden Jungspunde dabei relativ wenig. Es ist ein Muster, was auch bei den Fragen auf der Platform immer wieder auffaellt: waehrend SPD, Gruene und Linke mit Samthandschuhen angepackt werden, kommen Union und FDP als die Axt an der Demokratie daher.
Just nunmehr schwimmt der Hamburger Verein wieder einmal auf der rot-gruenen Empoerungswelle und macht erneut deutlich, dass ihm die eigentlich notwendige politische Neutralitaet fehlt.
Was aber ist der Ursprung: die Familie Quandt hat, wie jedes Jahr, der CDU eine groessere Summe Geld gespendet. Es waere einfach gewesen, dies in den Rechenschaftsberichten nachzulesen. Rot-Gruen hatte in Berlin aber bereits die Empoerungssau angefangen, durch das Dorf zu treiben und warf der Kanzlerein hoechstselbst Kaeuflichkeit vor. Denn unmittelbar davor hatte der EU-Umweltministerrat eine Richtlinie zu den Abgasnormen fuer Neufahrzeuge entschaerft. Einen Kausalzusammenhang zwischen Spende und deutschem Abstimmungsverhalten konnte niemand fuehren und es gibt ihn wohl auch nicht.
Fuer die beiden Fuehrer des vermeintlichen Watchdogs der Demokratie von der Alster waren die Tatsachen jedoch kein Grund, etwas Ruhe zu bewahren, sondern die Empoerungswelle anzuheizen – zum eigenen Vorteil. In einer Email an den Grossverteiler des Vereins heisst es:
Wir fordern von der CDU, die Spende zurückzuweisen und ihren Teil zu einer guten demokratischen Kultur beizutragen!
Stärken Sie die politische Kultur in unserem Land, indem Sie unsere Arbeit unterstützen. Wir werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass politische Entscheidungen nicht käuflich sind. Versprochen!
Was die beiden Revolverhelden der Demokratie also der CDU vorwerfen, nutzen sie in gleicher Weise fuer sich: in dem sie einen angeblichen Zusammenhang konstruieren, ohne ihn zu belegen. Um einen Vorteil fuer sich selber heraus zu schlagen, empoeren sie sich ueber Spenden, die die Parteien so dringend fuer ihre Arbeit benoetigen. Wuerden dies andere machen, wuerden H&H sich empoeren. Aber wenn zwei das selbe tun, muss dies scheinbar noch nicht das selbe sein – denn abgeordnetenwatch hat vermeintlich die Moral auf seiner Seite. Scheinbar. Denn real stellen sie sich ins Abseits und kaschieren, dass sie in der Realitaet immer mehr an Bedeutung verlieren.
Wenn in Bayern am 15. September 2013 um 18 Uhr die Wahllokale schliessen, duerften so einige Traeume platzen. Vor mehr als zwei Jahren war Christian Ude als Tiger der SPD – oder formeller: Spitzenkandidat – gestartet. Nun merkt auch die SPD, was in Muenchen bereits jeder wusste. Sie hatte sich einen amtsmueden Kandidaten und Oberbuergermeister eingehandelt, der zwar Muenchen durchaus erfolgreich regiert hat, aber vom Land, in dem er lebt, wenige kannte. Ude, der als Muenchner Sonnenkoenig gerne noch ein wenig weiter gemacht hatte, wollte nicht unbedingt noch einen Schritt weiter gehen und als Retter er BayernSPD erscheinen.
Ude hat es nie geschafft, wirkliche Fahrt aufzunehmen. Er wurde nicht ueber inhatliche Themen wahrgenommen, sondern ueber die Frage, mit wem er regieren wuerde wollen. Lange zog es sich hin, bis das Oppositionsbuendnis mit Gruenen und Freien Waehlern stand – zu spaet, um die CSU noch wirklich anzugreifen. Diese hatte naemlich die Haengepartie der SPD genutzt, um wieder zurueck zur alten Staerke zu finden. Bereits Mitte 2012 hatte sie das erreicht, was sie bundesweit immer braucht – die absolute Mandatsmehrheit. Dies scheint bislang gelungen zu sein, trotz kleiner Skandaelchen – die recht schnell aber immer auch die Opposition erreichten. Seehofer setzte dabei bewusst auf einen eher themenarmen Wahlkampf und betonte das Leistungsportfolio auf Bayernebene. Das hierbei auch Fehler gemacht wurden, scheint die grosse Mehrheit der bayerischen Bevoelkerung ihm zu verzeihen. Dabei spielt sicher auch seine konsequente Verjuengungs- und Verweiblichungspolitik eine Rolle – kein Minister ueber 60 im Kabinett und die Rueckholung von Ilse Aigner als Spitzenfrau nach Bayern mit ausgezeichneten Chancen auf den Fraktionsvorsitz. Gleichzeitig hat Seehofer durch Aeusserungen wie “Das koennen Sie alles senden …” und die Facebook-Party im Muenchner P1 demonstriert, dass er auch abseits des Politikgehabes agieren kann. Dies wurde zwar durch die Opposition ins laecherliche gezogen, nur kam es beim Volk durchaus an und Seehofer konnte demonstrieren, dass er im direkten Kontakt mit dem Waehler Menschen gewinnen kann.
Die FDP hat er dabei kleinregiert. Mit grossen Toenen angetreten, war sie in fuenf Jahren kaum sichtbar – und Seehofer konnte sogar die Themen, die die FDP in den Koalitionsvertrag geschrieben hatte wie die Eheschliessung gleichgeschlechtlicher Paare in den Rathaeusern als seine Ideen verkaufen. Seehofer und Merkel sind sich hier durchaus aehnlich – ihr Politikstil ist nicht der selbe in der Aussendarstellung, im Binnenverhaeltnis und der Uebernahme von Themen aber gleich.
Das Ergebnis des 15. September 2013 ist daher vorher sehbar: Horst Seehofer bleibt Ministerpraesident und wird zukuenftig mit einer absoluten Mehrheit regieren. Sein Image als Retter der CSU nach dem Debakel von 2008 wird sich dadurch festigen.
Heribert Prantl von der Sueddeutschenschreibt am Morgen nach der Niedersachsen-Wahl in seinem Stammblatt:
Die FDP hat ihren Erfolg in Hannover nicht Philipp Rösler zu verdanken; sie verdankt ihn Angela Merkel und der Tatsache, dass viele Wähler die CDU in Niedersachsen an der Regierung halten wollten.
Es ist einer der typischen Kommentare, die regelmaesssig zum Wahlergebnis der FDP hervor gezaubert werden und die mit dieser Monstrans bei keiner anderen Partei auftauchen. Nun kann man nicht verhehlen, dass die FDP und ihre Fuehrung in den vergangenen Jahren eine hohe Zahl von Fehlentscheidungen angesammelt hat, die zu Recht von den Medien aufgegriffen wurden – und teilweise mit einer Haeme insbesondere gegen die jeweiligen Vorsitzenden geschleudert wurde, die so einer Claudia Roth nicht gegen ueber gebracht wird.
Die Presse geht seit Jahr und Tag mit der FDP nicht sonderlich zimperlich um und nimmt quasi jedes Stoeckchen, welches ein Lokalpolitiker der hinteren Reihe hinhaelt auf, als wuerde er damit den Vorsitzenden stuerzen. Man erinnere sich jedoch noch zum Urwahlergebnis der Gruenen im vergangenen Dezember: Claudia Roth, die Ikone des Heulsusen-Politstil mit hohem Betroffenheitsfaktor, war quasi gedemutigt aus dem Rennen um die gruene Spitzenkandidatur hervor gegangen – weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Kurz darauf stellte sie sich zur Wiederwahl als Parteivorsitzende und keiner der sonst so kritischen Journalisten fragte sich, ob da nicht jemand an seinem Stuhl klebt wie Patex.
Und so sind die Worte, die Prantl und seine Kollegen nun schreiben, eine Form der Missachtung des Waehlers, die zwischenzeitlich symptomatisch ist. Denn es kann nicht sein, dass hier der Waehler eine muendige, durchdachte Entscheidung getroffen hat, um seiner Regierungspraeferenz zum Erfolg zu verhelfen. Es ist nicht das Ergebnis eingetreten, welches Demoskopen (= Wahrsager) und Journalisten vorher gesagt haben. Nur anstatt hier eine Fehleinschaetzung zu zugegeben, wird der Waehler flugs zum billigen Stimmvieh, welches quasi auf Geheiss der Parteizentralen seine Stimme “leiht”. Leihen tut er sie in der Tat, nur ist der Leihgeber nicht eine Partei, sondern der Waehler selbst und er leiht seine Stimme fuer vier Jahre. Danach ist er frei, diese “Leihstimme” anderweitig zu vergeben.
Getrud Höhler hatte den Zeitpunkt der Präsentation ihres Buches gut gewählt. Mitten in der Sommerpause war ihr die Aufmerksamkeit gewiss mit einem Werk, in dem sie die Bundeskanzlerin in die Nähe der italienischen Mafia sah. Ein Jahr vor den Bundestagswahlen, in denen Angela Merkel bisher die einzige erklärte Spitzenkandidatin ist, war es kein Wunder, dass die Gazetten voll waren. Günther Jauch räumte Höhler – attestiert von einigen aktiven Politikern – der Autorin einen prominenten Platz in seiner Sonntagabend-Plauderrunde ein.
Die Präsentation liess daher viel erwarten. Aber man kann es vorweg wegen und hier auch den meisten Medienkommentaren zustimmen: es lohnte nicht. Höhler holte einige alte Kamellen wie die von dem männerfressenden Ungeheuer wieder hervor und garnierte diese bunte wie wenig gehaltvolle Neuverpackung mit zahlreichen Plattitüden. Allein Höllers Schreibstil ist bereits ermütend, wiederholt sie doch über zahlreiche Seiten den gleichen Denkansatz in immer neuen Worten, ohne ein Ergebnis zu präsentieren.
Merz´ Abtritt – und was Angela Merkel damit zu tun hat
Eine der beliebtesten Geschichten in der Theorie um „Killerbiene Angela“ ist die Vertreibung des Friedrich Merz aus dem Zentrum der Berliner Republik. Höhler beschreibt den Fall Merz´ als „ersten grossen Modellfall“. Merz sei Rivale gewesen und musste daher aus dem Weg geräumt werden. Richtig ist, dass Merkel und Merz nie wirkliche Freunde waren und sich nach dem Rücktritt von Wolfgang Schäuble im Zuge der Spendenaffäre 2000 die Macht zunächst geteilt hatten. Der Machtkampf war aufgeschoben, aber Merkel hatte bereits damals als Parteivorsitzende die weitaus bessere Position.
Höhler, die sich gerne als Beraterin für politische Kommunikation, und damit auch für politische Machtstrukturen, macht bereits an dieser Stelle deutlich, dass sie zumindest vordergründig grundlegende Regeln des politischen Betriebes sieht. Merz hat sich im Ergebnis selbst ins Off gestellt, weil er nach der Wahl 2002 die Spielregeln im Alleingang verändern wollte. Merkel und Edmund Stoiber hatten beim vielgerühmten Frühstück von Wolfratshausen nicht nur die Kanzlerkandidatur des CSU-Vorsitzenden verabredet, sondern auch die Machtstrukturen für die Zeit nach der Wahl. Höhler, die sich auf den SPIEGEL beruft, müsste dies eigentlich bekannt sein. Danach wurde Merkel unabhängig vom Ausgang der Wahlen Fraktionsvorsitzende. Dies war der Preis, den Stoiber für seine Ambitionen zu zahlen hatte und nachdem es im Winter 2002 für Stoiber noch gut aussah, war er bereit, diesen zu zahlen. Für Friedrich Merz sollte ein Superressort geschaffen werden mit den Zuständigkeiten für Wirtschaft und Finanzen. Merz war zwar nicht in diese einsame Entscheidung der beiden Parteivorsitzenden einbezogen, aber er akzeptierte diese – war ihm doch ein weiter Gestaltungsspielraum für den Fall der Kanzlerschaft Stoibers zugesichert worden. Merz war aber bereits zu diesem Zeitpunkt aus dem Necleus der Berliner Politik vertrieben.
Was nach der Wahl geschah, war für viele befremdlich. Denn der Wähler hatte sich für eine Verlängerung von Schröder´s Kanzlerschaft entschieden – und damit Merz´ Ministerträume beendet. Merz sah sich mit der Situation konfrontiert, dass er nun hätte in die zweite Reihe zurück treten sollen – für eine Frau, Protestantin und Ostdeutsche. Für ein Alphatier vom Schlage Merz war dies zuviel und er versuchte den Kompromiss zu seinen Lasten aufzubrechen. Er – und mit ihm Höhler – vergass dabei jedoch, dass der bisherige Vorsitzende in der Fraktion über eine breite Anhängerschaft verfügte. Diese Anhängerschaft wollte aber nicht das Bild der CDU/CSU ruinieren und wusste, dass Merz auch als Stellvertreter eine einflussreiche Rolle hätte spielen können. Merz probte aber dennoch die offene Konfrontation – und verlor erwartungsgemäss.
Höhler macht deshalb bereits in dieser Leitsentenz ihres Buches deutlich: sie mag Merkel nicht und hätte Merkel 2002 anders gehandelt, hätte sie ihr eine grundlegende Schwäche vorgeworfen. Höhler dreht und wendet die Dinge so lange, bis sie in ihr Denkschema passen.
Höhlers Problem mit Merkel
Höhler macht deutlich, wo die Problematik der Angela Merkel im innerparteilichen Gefüge liegt:
„In dem Klima aufgeregter Befangenheit und lädierten Selbstvertrauens findet keiner der führenden Mitspieler … die Energie, eine neue Selbstbeschreibung der Partei zu suchen. Davon profitiert die Exotin, die niemand wirklich kennt.“ (S. 47)
Merkel ist in der Tat eine Exotin, die nicht die Ochentour durch die CDU gemacht hat. Sie stand rund 10 Jahre dem kleinen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern vor, in dem sie bis heute ihren Wahlkreis hat. Sie war von Helmut Kohl dorthin geschickt worden, nachdem Günther Kraus vor allem eines produzierte: Skandale. Aber Merkel fehlte die Hausmacht und sie wurde nicht durch die Partei zur Vorsitzenden gewählt, sondern durch die Sympathiebekundungen der konservativen Wählerschaft, nachdem Helmut Kohl und der Spendenskandal eine tiefe emotionale Verunsicherung hervorgerufen hatten. Merkel verband dies mit Edmund Stoiber, denn auch er war als kühler Technokrat nie wirklich mit den CSU-Strukturen warm geworden. Geachtet, aber nicht geliebt.
Anders als ihre versammelten Gegner – von Roland Koch über Christian Wullf bis hin zu Peter Müller – war sie weder in der Jungen Union gross geworden noch hatte sie über viele Jahre als Abgeordnete gearbeitet und durch die Kreisverbände gedingelt. Merkel war ein Kind der DDR-Revolution, in der viele Politiker ganz schnell ganz weit nach oben gelangt sind. Kohl hatte sie als Repräsentantin der ostdeutschen CDU zu seiner einzigen Stellvertreterin gemacht und war nicht davon ausgegangen, dass sie ihm gefährlich werden könnte.
Koch & Co. waren von Merkel´s rasantem Aufstieg viel zu überrascht und hatten den richtigen Zeitpunkt verpasst. Denn als sie noch Helmut Kohl die Stange hielten, war Merkel schon weiter. Sie war es, die damit an allen Gremien und Klüngeln vorbei die Sympathien erworben hatte.
Richtig ist, dass Merkel mit den konservativen Werten der westdeutschen CDU wenig am Hut hatte. Sie war zwar protestantisch erzogen. In der DDR hatte die Kirche jedoch eine wichtige Funktion in der Demokratiebewegung. Dort konnte man frei Denken und bereits aufgrund des Berufes ihres Vaters und ihrer eigenen Kirchenmitgliedschaft war sie im real existierenden Sozialismus eine Aussenseiterin mit limitierten Chancen. Eine Erfahrung, die Merkel bis heute prägte und die ihren Konkurrenten fehlte. Merkel hat zu kämpfen gelernt – eine Schule des Lebens.
Höhler setzt jedoch voraus, dass ein Politiker die innerparteiliche Ochsentour machen muss. Merkel ist hier unheimlich, weil sie genau dies vermissen lässt, indem sie ohne Hausmacht und ohne Klüngel bis an die Spitze der Republik geschafft hat. Merkel lässt den Demut ihrer Ansicht nach vermissen, der ihr eigentlich anstehen müsste.
Ideentransfer unter der Kritik
Höhlers fehlendes Verständnis für einen der atemberaubensten Karrieren in der Bundesrepublik wird auch in Bezug auf den von ihr als „Ideentransfer aus der SPD“ (S. 65) verschriebenen Kapitel deutlich. Ausgangspunkt ist die Aufgabe zentraler Positionen aus dem „Leipziger Programm“ zur Sozial-, Steuer- und Wirtschaftspolitik in der Grossen Koalition. Höhler reklamiert den „Ideenklau“ bei der SPD aber nicht in diesem Feld, sondern in der Familien- und Sozialpolitik:
„Sie liefert einen Mix von neuen ideologischen Botschaften und Projekten, die zum Teil bis zum Jahr 2013 auf ihre Einlösung warten. Die Richtung soll neu sein, Berufsarbeit von Frauen selbstverständlich werden.“ (S. 66)
Gemeint ist damit die Etablierung eines neuen Familienbildes, welches liberaler als jenes der meisten CDU-Granden ist. Was Höhler übersieht: Merkel findet bereits ein grundlegend gewandeltes Familienbild in der Gesellschaft vor, welches zunehmend auch in der Union bis hinein in tiefschwarze Kreise einer Großstadt-CSU wie in München oder Nürnberg verankert ist. Merkel hatte zunächst sich dem Feld der Wirtschafts- und Finanzpolitik gewidmet, nie aber dies als einzige Themenfelder beschrieben. Nun wird sie in einem Land Bundeskanzlerin, in dem 1999 mit breiter Zustimmung – wenn auch gegen den Willen der Kirchen – die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt wurde und Frauen eine stärkerer Platz in der Gesellschaft eingeräumt worden ist. Merkel kommt dies entgegen, selbst geschieden und kinderlos wäre sie an sich das Feindbild in einer konservativen Gesellschaft, wie sie noch zu Helmut Kohls Zeiten, immerhin nur rund vier Jahre Geschichte, präsent war. SPD, FDP und Grüne waren hier bereits weiter. Damit hat Höhler Recht. Merkels Öffnung der CDU, die massgeblich von Ursula von der Leyen ausgestaltet wurde, ist jedoch kein „Ideenklau“ bei liberalen und linken Parteien, sondern die programmatische Gestaltung des gesellschaftlichen Wandlungsprozesses. Höhler übersieht in ihrer Kritik, dass Angela Merkel einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess aufgenommen hat, der auch bereits in der Union Raum gegriffen hatte. In der CDU und vor allem der CSU wären die Weiterentwicklungen des Wandels in vielen Politikfeldern wie dem Staatsangehörigkeitsrecht, dem Familien- und Frauenbild oder der Hartz-Veränderungen nicht vermittelbar gewesen, wenn der Diskussionsprozess hier nicht bereits vollzogen worden wäre. Selbst in der CSU würde heute niemand ernsthaft mehr die Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit, die Integrationspolitik oder die „Homo-Ehe“ fordern. Das ein Aussenminister mit einem Mann verheiratet ist, war 2010 kein Aufreger mehr, sondern wurde positiv aufgenommen.
Höhlers zweiter Kritikpunkt ist die internationale Politik. Merkel stach als Frau hier heraus, denn in G8 und G20 war sie die einzige Regierungschefin. Hillary Clinton wäre hier nur die Zweite gewesen. Höhler wirft der Kanzlerin „mehr Symbolpolitik als Sachpolitik“ (S. 67) und zieht als Beispiel den Strandkorb des Heiligendammer G8-Gipfels heran. Und: „Merkel überläst ihm (Steinmeier als Aussenminister, d.A.) sensible Themen wie Syrien …, um dann aber internationale Beziehung, die ihr selbst wichtig sind, als Kanzlerpositionen zu verankern.“ (S. 68). Auch hier wird wieder deutlich: Höhler kennt entweder die Grundregeln der politischen Kommunikation nicht oder sie wendet diese bewusst gegen Merkel. Denn: Politik wird über Symbole betrieben und gerade der G8-Gipfel in Heiligendamm war einer derjenigen, die eher inhaltsstark waren und Merkels Kernthema der nachhaltigen Klimapolitik auch gegenüber den USA zum Durchbruch verhalf. Schöne Bilder hat es von allen Gipfeln gegeben. Und auch in den Aussenbeziehungen generell übersieht Höhler: Eine Kanzlerin ist Generalistin und ein Thema wie Syrien erfordert ein hohes Maß an Detailarbeit, für die der Aussenminister bezahlt wird. Die Kanzlerin gibt die Linien vor – so war es unter Kohl und auch unter Schröder. Merkel hat hier nicht anders gehandelt, und genau dies scheint für Höhler der Fehler gewesen zu sein.
Entpolitisierung als Merkels Werk?
Höhlers zentraler Kritikpunkt an Angela Merkel ist jedoch die Entpolitisierung der deutschen Politik. Ihre fehlende Debattenkultur. Höhlers Beobachtung ist hier durchaus korrekt. Nur ist es die Frage, ob dies ein Werk der Kanzlerin ist oder nicht eher eine allgemeine Entwicklung fehlender Streitkultur.
Höhlers Beispiel ist die Europapolitik und die Krisenkultur seit 2008 – Merkel hatte hier die Führung in Europa und auch der Welt übernommen, nachdem die USA durch einen Präsidenten am Rande der Handlungsunfähigkeit gelähmt war. Diese Beurteilung trifft nicht nur auf George W. Bush zu, der sich durch den Iraq-Krieg weitgehend selbst ins internationale und nationale Abseits manövriert hatte. Diese Beurteilung trifft auch auf Barack Obama zu, der sich einer massiven De-Legitimierungskampagen der Republicans ausgesetzt sah und dessen Agenda auch innenpolitisch orientiert war. Zu sehr war Obama damit befasst, Gesundheitsreform und die inneramerikanische Finanzkrise mit der Schliessung einer grossen Anzahl von Kreditinstituten, riesigen Finanzierungsproblemen U.S.-amerikanischer Finanzgiganten und einer vollkommen veralteten Automobilindustrie zu lösen, als dass er sich hätte wirksam in die internationale Krisenbewältigung einschalten können. Merkel füllte dieses Vakuum, auch weil die Euro-Krise mit überschuldeten Süd-Staaten zunehmend auch die Aufmerksamkeit erlangte. Merkel führte die unumstrittene Wirtschaftsmacht Europas, die ihre eigenen Strukturprobleme bereits rund acht Jahre zuvor unter Kanzler Schröder und gemeinsam mit der Union unter dem Stichwort „Hartz“ angepackt hatte. Eine Allparteien-Politik, die im Detail für Auseinandersetzungen sorgte, die SPD marginalisiert hatte – aber dennoch zwischenzeitlich anerkannt ist.
Merkel nutzte die reale Position Deutschlands als Garant für den Bestand des Euro und als grösster Einzahler in die Rettungsschirme, um Reformen auch von den südlichen Nachbarn zu verlangen. Auch darin ist ihre heutige Popularität begründet und real konnten SPD und Grüne dem nichts entgegen setzen. Aber genau dies begründet im Kern das Misstrauen Höhlers und führt zu einer Generalabrechnung. Richtig ist daran, dass Adenauer, Kohl und Schröder anders agiert haben. Richtig ist aber auch, dass sie sich einer ganz anderen Problematik gegenüber sahen – genau keiner als Krisenmanager nie gekannten Ausmasses.
Wenn Höhler Merkel eine Entmachtung der Parteien vorwirft, so stellt sich die Frage, wieso sie eigentlich nicht Sigmar Gabriel und Claudia Roth die Frage stellt, wieso diese dies zulassen. Höhler verkennt an diesem Punkt erneut zentrale Gegebenheiten, in denen SPD und Grüne viel zu sehr mit sich selbst und ihrer inneren Findung beschäftigt sind, als dass sie wirksame Politikkonzepte anbieten könnten. Die Entpolitisierung ist somit nicht Merkel anzulasten, sondern liegt in der Verantwortung der Opposition. Auch Merkel hat ihren Teil dazu beigetragen oder zumindest den Allparteienkonsens in der Krisenbewältigung eingefordert. Ihr die Verantwortung für andere Parteien zu zuschieben, ist jedoch gefehlt.
Höhlers Ghostwriter
Höhler fragt, wer die Ghostwriter für Merkels Bruch mit Helmut Kohl im Dezember 1999 waren (S. 26). Wer aber ist Höhlers gedanklicher Ghostwriter? Sie trägt hier zahlreiche Geschichten und Geschichtschen zusammen und zieht bewusst die falschen Schlüsse. Ihre gesamte Argumentation zielt darauf ab, mit der Politik Angela Merkels eine Generalabrechnung durchzuführen. Man könnte fast geneigt sein anzunehmen, Höhler schreibt im Auftrag von Friedrich Merz und dem Anden-Pakt, so sehr stellt sie diese als Opfer der Merkelschen Politik dar. Dies übersieht jedoch, dass Friedrich Merz nicht über den Rückhalt verfügt und die Anden-Pakt-Angehörigen entweder selbst in Wunschpositionen ausserhalb der Politik gewechselt sind oder aufgrund ihrer eigenen Fehler am Boden liegen.
Für eine Abrechnung im Auftrag ist die sprachliche Qualität Höhlers auch jenseits dessen, was vertretbar ist. Sie verwendet zwar keine gestelzten Sätze, aber sie führt seitenweise dasselbe Argument mit neuen Wendungen und Plattitüden.
Im Ergebnis kann man sagen: Höhler hat gut verdient an einem Buch, welches ausser einem Medienrummel zu nichts weiter gut ist. Merkel hat sich zu dem Buch nicht geäussert und jede Äusserung der Bundeskanzlerin wäre auch nur eine unverdiente Aufwertung gewesen. Die Kanzlerin muss damit Leben, dass sie nicht von allen geliebt wird und ihr Weg nach oben zwar schnell, aber ebenso steinig und von Neidern geprägt ist. Höhler ist das beste Beispiel.
Christian Ude ist seit nunmehr 18 Jahren Münchner Oberbürgermeister und wäre da nicht die gesetzliche Altersgrenze würde er dies wohl noch weiter bleiben. Die Münchner SPD ist so klamm an fähigem Personal, dass sie Udes Wunsch, 2008 nach Mykonnos zu entschwinden, bereits einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Das Problem der Münchner SPD hat die bayerische SPD aber ebenso: Ihr fehlen die politischen Strategen und das politische Programm. Florian Pronold, Jungsozialist und immer noch unausgereifter Parteivorsitzender SPD, war wohl selbst der Meinung, dass die Wähler im den Job nicht zutrauten und schlug deshalb des Münchner Bürgerkönig vor. Ude, selbst durchaus von einer gewissen monarchischen Eitelkeit geprägt, nahm diesen Ball allzu gerne auf – ob ihn wirklich die Aussicht auf den Märchenkönig geprägt hat oder er einfach noch einmal Wahlkampf betreiben wollte, ist nicht bekannt. Er wird aber trotz der geringen Aussichten auf den Sessel des bayerischen Ministerpräsidenten derzeit durch die Presse hofiert, wie es sonst nur selten in der Politik vorkommt. Für die Augsburger Allgemeine, für die er nunmehr ein Interview gegeben hat, habe er “Schwung in die Landespolitik” gebracht. Wo dieser Schwung sein soll, verrät die Zeitung auch nicht und man kann diesen höchsten in dem erlahmten Haufen BayernSPD vermuten.
Die Antworten Udes im Interview mit der Augsburger Allgemeinen sind jedoch durchaus kommentierungswürdig:
Ude: Es ist nicht die Schönheit des Amtes, die mich reizt, sondern die Aufgabe. Ich bin überzeugt, dass ich für das Land und für meine Partei, der ich vor 45 Jahren beigetreten bin, noch etwas bewegen kann. 2013 wird in Bayern und im Bund gewählt. 2014 sind Kommunalwahlen. Da ist es wichtig, dass die Sozialdemokratie im Süden nicht verzagt, sondern selbstbewusst auftritt. Das ist ein so großes Bündel von Motiven, dass ich nicht Nein sagen konnte, als man mich wieder einmal sehr nachdrücklich gefragt hat.
Man kommt eigentlich aber doch unweigerlich zu dem Verdacht, dass das Motiv des Stadtmonarchen eher in seiner persönlichen Eitelkeit liegt. Richtig ist nämlich, dass die bayerische SPD gar keinen wirklichen Kandidaten von Charisma hat.
Wenn Ude auf die kommunale Erfahrung anspielt vergisst er seine vielfachen eigenen Reden, wonach München in Bayern eine vollkommen andere Dimension hat als alle anderen Gemeinden. Vor allem ist legendär, dass das Verhältnis zur eitlen Pfauenstadt zu seinem Umland alles andere als getrübt ist. Die städtischen Vertreter schlagen den Gemeinden regelmässig die Faust vor den Kopf und meinen, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen – was bei den Regionalfürsten alles andere als positiv ankommt.
Ude: Erst einmal habe ich, nachdem mich der SPD-Landesvorsitzende Florian Pronold ins Gespräch gebracht hat, nicht Nein gesagt. Daraufhin haben sofort mehrere Zeitungen recherchiert, was die Sozialdemokraten in Bayern dazu sagen. Sie haben keinen gefunden, der dagegen war. Das war für mich ein sehr überraschendes Ergebnis, weil ich die bayerische SPD, um es behutsam zu formulieren, als einen sehr streitbaren Laden kenne.
Ude erweckt den Eindruck, dass Pronold aus heiterer Luft einen Vorschlag macht. Nun, Ude wird da sicher im Hintergrund die Strippen gezogen haben.
Ude: Weil mich meine Partei damals heftig darum gebeten hat, die Festung München und das rot regierte Rathaus zu verteidigen. Jetzt ist es anders. Die Stadtpolitik war für mich Lebensaufgabe. Das ist 2013/2014 abgeschlossen.
Die Lebensaufgabe ist vor allem deshalb abgeschlossen, weil eine gesetzliche Altersgrenze Udes erneute Kandidatur verhindert. Die SPD hätte diese Altersgrenze gerne aufgehoben – und scheiterte an der kalkulierenden CSU. Denn zwar hat Ude bisher für seinen Wirtschaftsreferenten Reiter das Zepter als seinen Nachfolger gebrochen. Aber erstens hält Ude jeden Nachfolger sowieso für drittklassig und zweitens ist Reiter als geborener Bürokrat bisher nicht als Volkstribun aufgetreten. Er kann es einfach nicht und die SPD hat keinen Nachfolger für den Bürgerkönig.
Darin lag auch der Grund, dass er 2008 nicht aufhören durfte.
Ude: Nein, dieses Thema kommt überraschenderweise überhaupt nicht als Vorwurf, sondern eher als positives Argument. Das sagt ja auch Seehofer ganz richtig. Der Jugendkult, den es zu Karl-Theodor zu Guttenbergs Zeit noch gegeben hat, ist spätestens mit dieser Schülermitverwaltung in Angela Merkels Kabinett beendet worden.
Da ist sie wieder, die Polemik des Christian Ude, der sich manchmal auch als leidlicher Kabaretist verdingt. Man kann über Guttenberg viel sagen – aber einen Jugendkult hat er nicht verbreitet. Dass ein Minister in einer Diskothek auch mal auflegt mag Ude stören – aber falsch ist daran nichts.
Und was Angela Merkel anbelangt: der Zorn der SPD auf die Kanzlerin ist durchaus nachvollziehbar. Diese ostdeutsche Göre, die die SPD von der Macht verdrängt hat, kann gar nichts schaffen … so denken die Sozis allerweil, und Ude mit. Die SPD war und bleibt eben eine Macho-Bewegung.
Ude: Stimmt. Er ist sozusagen als einer der Letzten dem Jugendwahn auf den Leim gegangen. Jetzt stellt er mit Erstaunen fest, dass die Gefahr bei Leuten schlummert, die noch zwei Jahre älter sind als er.
Man – oder eben Ude – kann sich die Realität auch schön reden. Wenn man danach geht, dürften Jüngere als er nie in Führungspositionen gelangen. Aber das ist eben Ude: besser als er kann sowieso niemand sein.
Ude: Auch unser Wahlkampf wird erst wenige Monate vor der Wahl beginnen. Die Zeit vorher brauche ich, um mich seriös einzuarbeiten. Ich kenne zwar die Probleme der bayerischen Kommunen, weil ich 15 Jahre lang auch stellvertretender Vorsitzender des bayerischen Städtetags war. Aber ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mit den landespolitischen Problemen in den sechs anderen Regierungsbezirken noch nicht engstens vertraut bin. Um es konkret zu sagen: Ich möchte keine Galionsfigur sein, die an ein Schiff geschraubt wird, sondern ich möchte die Programmarbeit in der Partei ganz stark beeinflussen – gemeinsam mit den Sozialdemokraten in der Landstagsfraktion, in den Rathäusern, im deutschen Bundestag und in der jeweiligen Region.
Ude macht seit Sommer 2011 nichts anderes als Wahlkampf – auch wenn sein Konterfei den Bayern noch vorenthalten bleibt.
Ude entpuppt sich hier als Programmmacher, eine Eigenschaft, die in München niemand an ihm kannte. Da waren es die Prestigeobjekte wie die Schrannenhalle, die seine Zeit prägten – und den städtischen Haushalt bis heute nachhaltig belasten.
Ude: Ach ja, das war doch in diesem Fall ganz klar. Das ist doch nur veranstaltet worden, um ein Debakel vorzuführen. Im einzigen Ort in Bayern, wo ein Groll auf die Stadt München besteht, ist es doch keine Kunst, einen Saal mit Menschen zu füllen, die „Buh“ rufen.
Ude verzehrt für sich mal wieder die Realität. Mit der Startbahn hat nicht nur Freising ein Problem – sondern zwei Landkreise und ein paar mehr, einschliesslich seinen Dagegen-Koalitionspartners. Ude vergisst aber, dass das Auftreten der städtischen Repräsentanten alles andere als vertrauenseinflössend ist und München bereits im unmittelbaren Umfeld als eingebildet und arrogant verschrien ist.
Ude: Richtig ist: Es gibt einen gültigen Beschluss eines Landesparteitags gegen die Startbahn, der allerdings gefasst wurde, als 30 Prozent der Delegierten schon gegangen und mehrheitlich nur noch Startbahngegner im Saal waren. Richtig ist auch: Als Münchner Oberbürgermeister muss ich darauf hinweisen, dass in meinem Wahlprogramm und in unseren Stadtratsbeschlüssen ein Ja zur Startbahn steht. Soll ich jetzt zwei Jahre als gespaltene Persönlichkeit rumlaufen? Nein, für eine derartige politische Doppelzüngigkeit stehe ich nicht zur Verfügung. Da gibt es schon genug Leute, die diese Kunst beherrschen, auch in hohen bayerischen Ämtern.
Mehrheit ist Mehrheit, könnte man auch sagen. Oder Anders: Ude zeigt Flexibilität.
Ude: Wenn beim nächsten Mal alle da sind, bin ich mir einer Mehrheit in der SPD sicher. Ich weiß, dass Schwaben diese dritte Startbahn will und dass sich auch Niederbayern von dem Jobmotor Flughafen viel erwartet.
Die Mehrheit dürfte ihm auch sicher sein. Denn nun tritt Ude als Spitzenkandidat auf – und so lahm wie die SPD ist, wird sie ihm keinen Wunsch abschlagen können und wollen
Es ist das erste Mal, dass ich einen Artikel aus einem anderen Medium übernehme. Aber es ist eine Meinung, die ich zu hundert Prozent teile und der kein Wort hinzu zu fügen ist. Gerd Appenzeller bringt in seinem Kommentar im Tagesspiegel die Sache auf genau den Punkt, auf den sie gehört.
Die deutsche Bewerbung auf einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat ist falsch. Die Bundesrepublik hat bei G-8-Treffen wie dem in Heiligendamm 2007 gezeigt, dass sie sehr wohl globale Politik beeinflussen kann. Berlin sollte die Europäische Union für eine UN-Reform mobilisieren.
Am Sonnabend wird Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen reden. Es wird seine erste Ansprache vor dem Gremium sein, das Thema ist bekannt. Deutschland bewirbt sich für die Sitzungsperiode der Jahre 2011 und 2012 um einen der nichtständigen Sitze im Sicherheitsrat der UN, also im obersten Verantwortungskreis der Völkergemeinschaft. Guido Westerwelle wird das deutsche Bestreben begründen.
Die Motive sind durchaus ehrenwert. Deutschland will in der Welt nicht nur als Wirtschaftsmacht gesehen werden, sondern auch bei wichtigen Fragen wie dem Klimaschutz, der Abrüstung und der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen mitreden. Außerdem glaubt die Regierung Merkel, sie könne aus dem Sicherheitsrat heraus besser für eine Reform der Organisationsstrukturen der UN und hier vor allem des Weltsicherheitsrates werben. Diese Strukturen sind völlig überholt, weil sie die weltpolitischen Gewichte der Kontinente und der Nationen nicht mehr widerspiegeln.
Diese Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit macht das Streben nach einem nichtständigen Sitz letztlich obsolet, denn es beschädigt die deutsche Position im Konzert all jener Staaten, die das bisherige System ebenfalls als schlecht empfinden. Wie falsch die Bewerbung ist, zeigt sich schon an der Konkurrenzsituation, aus der heraus Berlin versucht, eine Zweidrittelmehrheit der 192 Mitgliedsnationen bei der Abstimmung am 12. Oktober zu erreichen. Zwei der nichtständigen Sitze stehen westlichen Staaten zu. Drei Länder, Kanada, Portugal und Deutschland, kandidieren dafür. Die Kanzlerin warb während ihres New-York-Aufenthaltes vor allem bei Staats- und Regierungschefs aus Afrika und von den Inselstaaten um Unterstützung. Viele von ihnen sind auf Entwicklungshilfe angewiesen. Hier hat Deutschland aber gerade zugegeben, international vereinbarte Ziele nur schwer erreichen zu können. Der zuständige Minister, Dirk Niebel, budgetiert für den weltweit bei der Gesundheitsvorsorge entscheidenden „Global Fonds“ deutlich weniger Gelder als bislang. Das ist nicht verborgen geblieben.
Vermutlich ist Kanada wegen seines weltweit hohen Ansehens fast schon ein gesetzter Kandidat für den Sicherheitsrat. Setzt Deutschland sich durch, blockt es damit das kleinere EU-Land Portugal ab, das als Sprecher für südamerikanische und afrikanische Interessen aber eine wichtige Bereicherung des Gremiums wäre. Beide Kontinente sind nicht mit ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat vertreten. Der verharrt immer noch in den Machtverhältnissen des Jahres 1945. Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges dominieren zusammen mit China den Rat. Nur sie haben ein Vetorecht, Russland und die USA nutzen es ständig, um gegen ihre Interessen gerichtete Mehrheitsentscheidungen der UN zu blockieren. Eine große Industrienation wie Japan hat keinen ständigen Sitz, auch die regionalen Großmächte Brasilien, Südafrika und Indien nicht – Länder, die Deutschlands geborene Verbündete in einem stetigen Ringen um eine Reform der Vereinten Nationen wären.
Die Bundesrepublik hat bei G-8-Treffen wie dem in Heiligendamm 2007 gezeigt, dass sie sehr wohl globale Politik beeinflussen kann. Berlin sollte die Europäische Union für eine UN-Reform mobilisieren. Das ist mühsam, weil Frankreich und Großbritannien als ständige Sicherheitsratsmitglieder kein großes Interesse daran haben. Seriöser und glaubwürdiger wäre eine solche Politik aber allemal.
Am Wochenende ist Ole von Beust als Hamburger Bürgermeister zurück getreten.
Dies ist ein Fakt. Zuvor waren vor ihm Roland Koch als hessischer Ministerpräsident zurück getreten, auch er, weil er nach elf Jahren im Amt wieder ein Stück seiner persönlichen Freiheit zurück gewinnen wollte. In innerhalb eines Jahres sind Dieter Althaus und Jürgen Rüttgers nach Wahlniederlagen, die auch ihnen persönlich galten aus dem Amt geschieden. Christian Wulff wurde Bundespräsident und Günther Oettinger wurde EU-Kommission. Macht summa sumarum sechs Regierungschefs, die heute nicht mehr Regierungschef sind. Dies sind die Fakten und sie sind unwiderlegbar.
Liesst man die veröffentlichte Meinung gewinnt man nun aber den Eindruck, als wäre in diesem einen Jahr eine Killerbiene Angela Merkel unterwegs gewesen und hätte jene Landeschefs gemeuschelt: “Mit Ole von Beust verliert die Kanzlerin binnen eines Jahres den sechsten Landesfürsten.” Dabei lässt die Presse gleich mehrere Grundwahrheiten in diesem Land ausser acht, die sie teilweise selbst mit verursacht hat.
Die Regierungschefs der deutschen Bundesländer sind keine Regierungschefs von Angelas Gnaden, sondern sie mussten sich in ihren Ländern Wahlen stellen. Sie sind somit Regierungschefs von Gnaden der Landeswähler. Es ist also zunächst einmal festzuhalten, dass nicht Angela Merkel – als Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende der CDU – diese Regierungschefs verliert, sondern die Bundesländer.
Nur wenn man bedenkt, dass Ole von Beust und Dieter Althaus (Thüringen) enge Vertraute der Bundeskanzlerin waren und sie in ihren beiden Ämtern immer gestützt haben, so kann man für die Person Angela Merkel von Verlust sprechen. Sie verliert wichtige Stützen im machtpolitischen System der CDU. Von Roland Koch, Christian Wullf, Jürgen Rüttgers und Günther Oettinger kann dies nur bedingt oder überhaupt nicht gesagt werden.
Dabei wird vollkommen ausser acht gelassen, dass sowohl Ole von Beust wie Dieter Althaus weiterhin im Hintergrund der Bundeskanzlerin als Ratgeber zur Verfügung stehen und auch in ihren Bundesländern nicht ganz ohne Einfluss bleiben werden.
Das Amt eines Regierungschefs ist ein Amt, welches zwischenzeitlich in der Öffentlichkeit stattfindet. Zwar etwas weniger als bei der Bundeskanzlerin selbst, aber immer noch zu einem gewichtigen Teil wird nahezu jede Regung und jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Das Privatleben wird vollkommen ausgeleuchtet und es wird immer schwerer, zwischen wahren Freunden und Günstlingen zu unterscheiden. Dies ist eine Folge der Veränderung der Medienlandschaft, die danach heischt, auch von Spitzenpolitikern mit Soap operas bedient zu werden (mal abgesehen davon, dass genau jene dann für eben jene soap opera von der gleichen Medienmeute wieder geschlachtet werden, die sie zuvor dazu animiert hatte).
Es ist also nur allzu verständlich, wenn auch ein Regierungschef nach einer gewissen Zeit wieder die Sehnsucht danach hat, ein Stück mehr ins Privatleben zurück zu kehreren. An der Alster ohne Bodygards spazieren zu gehen, auch mal ein Eis zu verkleckern und nicht am nächsten Tag in der yellow press davor hergezogen zu werden, auch mal einen neuen Freund kennen zu lernen – und dabei das Private privat sein zu lassen zu können.
Ole von Beust ist Mitte Fünfzig und eine Grundregel des Berufslebens besagt, dass man nach fünf Jahren in einem Job nahezu alle Innovationen ausgeschöpft hat. von Beust war neun Jahre Bürgermeister und die Amtsmüdigkeit, die ihm wohl zu Recht nachgesagt wurde, hatte wohl auch damit etwas zu tun. Er hat drei unterschiedliche Regierungen angeführt, Mehrheiten geschmiedet, die Hamburger Verwaltung neu orientiert und nun? Nun kann ein neuer Bürgermeister neue Impulse setzen und von Beust sah sich zu Recht damit nicht mehr in der Lage.
Dies sind die normalen Fakten des Berufsalltags. Und von auf Ole von Beust zutrifft, trifft auch auf Roland Koch zu. Bei beiden die Killerbiene Angela Merkel – quasi das männermordende Wesen – zu vermuten, ist etwas stark davon geprägt, dass hier eine Regierungschefin an der Spitze steht – an ähnliche Äusserungen zu Kohl erinnert man sich nicht. Obwohl dessen Konto von “politischen Morden” reich gefüllt ist und bis heute seine Nachwirkungen zeigt. Man erinnere nur an Wolfgang Schäuble, Rita Süssmuth oder Heiner Geisler – unabhängig von der Frage, was von den Personen inhaltlich hält.
Unbestreitbar hat der Rücktritt von von Beust und Koch Rückwirkungen auf Angela Merkel. Mit Koch fällt ein ewiger Konkurrent weg, mit von Beust ein Vertrauter ohne Ambitionen auf Bundesebene. Die institutionelle Machtbalance insbesondere im Bundesrat ändert es nicht. In Hessen wird die Tigerentenkoalition (schwarz-gelb) weiter bestehen und in Hamburg die Kiwi-Koalition (schwarz/grün). Merkel wird es aber etwas leichter fallen, den durchaus vorhandenen Eigenwillen der beiden Länder aufzuspalten. Auch in Niedersachsen und Baden-Württemberg kam es lediglich zu einem Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten.
Wesentlich problematischer waren die Wechsel in Thüringen und Nordrhein-Westfalen, da hier Merkels Mehrheit im Bundesrat aufgeweicht und schliesslich gebrochen wurde. In diesen beiden Ländern Merkel die Schuld zu geben, würde den länderspezifischen Anteil jedoch untergraben. Sowohl Althaus wie Rüttgers haben eine Regierung geführt, die selbst schwerwiegende Fehler begangen hat und in der sich die Regierungschef abgekapselt haben. In beiden Ländern gibt es die zentrale Parallele, dass beide ehemalige Ministerpräsidenten heute in ihrer Partei kaum noch zu Wort sich melden – sie sind nicht nur abgetaucht, sie wurden auch abgetaucht und ihr Abtreten war für die eigene Partei ein hörbarer Schrei der Erlösung. Die “Killerbiene” Merkel hatte daran nur wenig Anteil.
Ändern wird sich zugunsten Merkels die Machtstruktur in der CDU. Der Anden-Pakt ist aufgelöst und paralysiert, Merkel ist die Siegerin über die Horde von Männern, die einmal gemeinsam an die Macht kommen wollten. Die Parteivorsitzende kann ohne eigenes Zutun nun die Strukturen endgültig nach ihrem eigenen Gusto gestalten. Das darin auch eine Gefahr – Helmut Kohl lässt kräftig grüssen – liegt, wird auch Merkel nicht verborgen geblieben sein. Im Zweifel wird sich die Killerbiene damit selbst killen – um im Bild zu bleiben. Merkel hat jedoch zunächst einmal ihren unbedingen Gestaltungswillen und ihre Hartnäckigkeit unter Beweis gestellt. Und die Erfahrung lehrt: eine Merkel wird dies klug und stilsicher einsetzen.
In den beiden Wechseln in Hamburg und Hessen liegen jedoch auch Chancen auf ein neue Impulse, da sowohl von Alhaus wie von Bouvier mindestens andere Nuancen ausgehen werden. Christine Lieberknecht hat den Wechsel in Thüringen genutzt, um eine ruhigere Politik und eine breitere Aufstellung zu nehmen, während ihr Vorgänger Althaus vor allem auf Charisma gesetzt hat. In Baden-Württemberg ist ein Politiker mit eigenem Gestaltungsanspruch an die Macht gekommen – eine vermutete Rocharde Merkels wäre daher im Ergebnis eher ein Bummerang gewesen.
Was ist also übrig von der “Killerbiene” Angela Merkel, Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende der CDU. Nichts. Alle Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten waren kein Werk Merkels und vor allem hat sie nicht die ihr zugeschriebene Durchschlagskraft auf diese Ämter.
Update 22.7.2010: Angela Merkel hat sich am 21. Juli 2010 anlässlich ihrer Sommerpressekonferenz auch hierzu geäussert. Der Text findet sich hier.
Nachtrag 26.7.2010: Einen lesenswerten Artikel zur Frage, ob Politiker überhaupt einfach gehen dürfen, hatte die Zeit veröffentlicht (hier).
Nach mehr als einem Jahrzehnt regiert im Bund wieder eine Bürgerliche Koalition. Obwohl die linken Parteien den Teufel personifiziert hatten, konnte die Angstkampagne bei den Wählern nicht verfangen. Ob die Warnung vor einem sozialen Kahlschlag, einer sozial schiefen Steuerreform oder der Delegimation des Bundestages durch Übergangmandate. Alles hat nicht verfangen.
Die Wahlprogramme der Parteien für den internationalen Politikbereich sind in der Regel Desiderate aus vorangegangenen Programmbeschlüssen. Die aussenpolitischen Teile der Wahlprogramme der sechs Bundestagsparteien enthalten deshalb auch recht wenig neues. Sie beschreiben den Standpunkt der Aussenpolitik konstant, mit Ausnahme der Grünen jedoch weitgehend verkürzt. Themen wie internationale Migration, Energieaussenpolitik oder die Regionalpolitik finden sich hier nicht wieder.
Die Parteiprogramme enthalten deshalb auch nur wenig, welches die Aussenpolitik der Bundesrepublik weiter entwickeln würde. Teilweise, wie bei den Grünen, gehen sie sogar hinter die realpolitischen Ansätze der Ära Joseph Fischer zurück. Vor allem die FDP ist erstmals bereit, eine klare Interessenformulierung zu machen – nach der die Partner bereits seit langem verlangen.
Globale Gestaltungsfreiheit . Die internationale Politik im Lichte der Wahlprogramme 2009
der Parteien des Deutschen Bundestages