The European ist zwischenzeitlich so etwas wie ein Renomierblatt im Internet. Angefangen als ein kleines start up-Projekt fuer Jung-Journalisten schreiben zwischenzeitliche viele mehr oder minder gute Schreiber. Im letzten Jahr wagte das Internet-Blatt auch den Sprung in die Papierwelt und zweimal im Jahr erscheint nun ein dickes Heft voller Geschichten, die einzelnen Themengebieten zugeordnet sind.
In der zweiten Jahreshaelfte, 14 Jahre nach dem Mauerfall, wagte sich die Redaktion nun an das Thema DDR und Vergangenheitsbewaeltigung. Was bereits haeufiger in der Internetausgabe aufgefallen ist, machte sich nun auch hier bemerkbar – eine gewisse Einseitigkeit. Denn Beitraege hierzu haben verfasst: Dietmar Bartsch, stellvertretender PDS-Fraktionsvorsitzender, Gregor Gysi, PDS-Fraktionsvorsitzender und das Urgestein der PDS Hans Modrow. Umrahmt von Wolfgang Templin und Hildegund Neubert, Stasi-Beauftragte in Thueringen.
Bartsch fasst daher auch gleich zu Beginn zusammen, warum die DDR zusammen gebrochen ist:
„Wir haben es selbst versemmelt, und der entscheidende Schluss steht heute im Parteiprogramm der Linken: Ein Sozialismusversuch, er nicht von der grossen Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, sondern von einer Staats- und Parteifuehrung gesteuert wird, muss frueher oder spaeter scheitern.“
Bartsch und der Linken ist an dieser Stelle 100prozentig zu zustimmen. Nur ist die Schlussfolgerung eine, die sich diamedial gegenuebersteht und die bereits aus dem Leitspruch der sogenannten „Arbeiter“parteien ins Auge springt: „Diktatur des Proletariats“.
Der Sozialismus wie der Kommunismus setzen nicht auf das Individuum, sondern auf das Kollektiv und nicht der Einzelne entscheidet, was fuer ihn gut ist und welche Chancen er nutzt, sondern das Kollektiv. Sozialismus und Demokratie schliessen sich damit aus, weil dies einschliesst, dass auch andere Sichtweisen als die sozialistische zum Tragen kommen. Diesen systematischen Denkfehler, der fuer die Zukunft nicht unwichtig ist, uebersieht Bartsch, der immer als Reformer seiner Partei gesehen wird – aber, und seine Worte machen dies deutlich, ein strammer Liniensozialist ist.
Gysi wird hier deutlicher:
„Auch der Staatssozialismus war … mit Verbrechen verbunden. … Aber er hatte nicht diesen Ausschliesslichkeitscharakter [zum NS-Regime]. Der Sozialismus verstand sich … als ein Projekt, das die kapitalistisch blockierten Emanzipationspotentiale der buergerlichen Gesellschaft freisetzen wollte.“
Nun ist dies ein deutlicher Widerspruch in sich, denn der Sozialismus hatte mit der „buergerlichen Gesellschaft“, die ihr Verstaendnis aus der Revolution von 1848/49 ableitete, rein gar nichts zu tun. Die buergerliche Gesellschaft setzt auf die individuelle Freiheit und die Lebung individueller Chancen, waehrend der Sozialismus sich ueber das Kollektiv definiert – wenn ueberhaupt, wuerde er sich mit den Borg aus Raumschiff Enterprise definieren. Und: Ja, der Staatsozialismus hatte nicht den Ausschliesslichkeitscharakter der NS-Rassenideologie. Aber er hatte den Ausschliesslichkeitscharakter, wenn es darum ging, Andersdenkende physisch wie psychisch zu vernichten. Gysi uebersieht, dass er genau die Menschen von Gericht vertreten musste, die sich gegen die Ausschliesslichkeitscharakter des Arbeiter- und Bauernparadieses der DDR wehrten und ein anderen –buergerliches – Gesellschaftsverstaendnis als Vorbild hatten. Sie hatten ihr verbrieftes Recht auf Meinungsfreiheit eingefordert und landeten vor dem Kadi und in die Gefaengnissen der allgegenwaertige Krake Staatssicherheit.
Hans Modrow macht gleich zu Beginn deutlich, dass die DDR doch in seinem Verstaendnis gar keine so schlimme Diktatur war:
„Das beginnt mit den „Zwei Diktaturen“ [Nazi-Deutschland und DDR] – und dem freundlichen Zugestaendnis, dass beide Diktaturen nicht gleichzusetzen sind.“
Fuer Gysi ist das ebenso ein Petitum, welches besonders hervor zu heben sei. Modrow und sein Nachfolger vergessen, dass dies kein Zugestaendnis, sondern die historische Wahrheit ist, denn die DDR agierte nicht selbststaendig, sondern als treuer Vasallenstaat von Moskaus Gnaden. Dies war nicht nur dem Potsdamer Abkommen, sondern auch dem Systemunterwuerfnis geschuldet. Aber wenn Modrow daraus ein Paradies der Arbeiter- und Bauerklasse macht, so vergisst er ganz deutlich
- dass die Staats- und Parteifuehrung der DDR unkontrollierte Beziehungen zum Ausland sehr argwoehnisch beaeugte und die vielen Gastarbeiter aus Afrika und Asien in Ghettos wegsperrte. Kam es doch einmal zu Verbindungen, aus denen vielleicht sogar Kinder hervor gingen, wurden diese zwar geduldet. Mehr aber auch nicht. Man sah sich nicht als Herrenrasse, aber vermischt wollte man das arische Blut seitens der SED auch nicht gesehen wissen.
- Die SED war eine durch und durch rassistisch orientierte Partei. Sie propagierte offiziell die Voelkerverstaendigung. Wenn es aber tatsaechlich um multikulti ging, setzte sie alle Hebel in Bewegung, diese zu verhindern.
- dass auch die SED nur eine Religion zuliess: den Sozialismus. Wer Mitglied einer Religionsgemeinschaft war, musste sich auf Schwierigkeiten in der Berufswahl, bei der Wohnungsvergabe und in einigen anderen lebensnotwendigen Dingen gefasst machen.
- dass auch die SED ihre Konzentrationslager hatte. Sie nannten sich nicht so, sie waren Gefaengnisse der Stasi oder Jugendwerkhoefe. Menschen sollten hier gebrochen werden, die nicht so ohne weiteres in das sozialistische Menschenbild passten. Wer einmal in diese Maschinerie geraden war, fuer den war es das Ende eines sozialistischen Lebens und er konnte sich nur Chancen erarbeiten, wenn er seine Heimat verliess – oder eben buchstaeblich bei Wasser und Brot ueberleben.
- dass die SED ihre Buerger einsperrte und von Informationen abschnitt – nicht so sehr wie Nordkorea, was bereits daran scheiterte, dass die viele DDR-Buerger verwandtschaftliche Beziehungen in den anderen Teil Deutschlands hatten. Aber gerade diese Kontakte wurden mit sehr viel Argwohn gesehen und wollte man selbst einen sozialistischen „Bruderstaat“ besuchen, so machte dies die SED von einem „Ausreisevisum“ abhaengig. Eine freie Gesellschaft sieht anders aus
Wenn Modrow auf den Einigungsvertrag rekuriert, der in den beiden deutschen Staaten von 1990 keinen „Unrechtsstaat“ sieht, dann vergisst er, dass dies der Zustand von 1990 war, als die Einigungsvertraege geschlossen wurden. Die DDR hatte sich nach der Revolution von 1989 in eine Demokratie gewandelt, von der sich die heutige Bundesrepublik in Sachen Engagement und Streitkultur einiges abschneiden kann. Diese DDR hatte bereits einige Schritte unternommen, um das Unrechtsregime der SED/PDS aufarbeiten zu koennen – auch juristisch. Die DDR des Hans Modrow war jedoch im Geist der Einigungsvertraege nichts anderes als ein Unrechtsregime, eine Diktatur. Sie war es im Verstaendnis der Menschen, die die Stasi- und Parteizentralen im ganzen Land stuermten und Gerechtigkeit einforderten. Die Grenze zu Polen, die Modrow scheinbar als Glanzleistung der SED sieht, war ein historisches Faktum, an dem niemand mit Vernunft mehr ruettlen wollte – 40 Jahre historische Entwicklung auch in diesen Gebieten liessen sich nicht einfach negieren und die Gebiete oestlich der Oder-Neise-Grenze war laengst „polnisch“ geworden. Es war aber keine Leistung der SED, sondern eine der Siegermaechte – die die Grenzen 1946 teilweise neu zogen.
Interessant wird es jedoch bei der Aufarbeitung der Vergangenheit. Obwohl Bartsch eine juristische Linie zieht (die seitens der Linken bereits zur Sicherung des alten Parteivermoegens gezogen werden wollte und weshalb 1990 ganz bewusst auf eine vollstaendige Aufloesung der SED und die Gruendung einer neuen Partei verzichtet wurde), will er doch keine Kontinuitaet sehen, denn „deutlich weniger als ein Prozent der einst 2,3 Millionen SED-Mitglieder gehoeren der Linken an, die knapp 64.000 Mitglieder hat.“ 1 Prozent von 2,3 Millionen sind 23.000 und damit 36 Prozent der heutigen Mitglieder der PDS – mehr als ein Drittel. Auch wenn es sich hier naturgemaess um eher aeltere Semester geht, so haben sie einen erhebliche Einfluss auf die Geschicke und Beschluesse der Partei. Und was Bartsch weiter uebersieht ist, dass gerade die westlichen Landesverbaende ein Sammelbecken aller derer sind, die einst die DDR verherrlicht haben als Paradies auf Erden – und als Stahlhelmstalinisten der Parteifuehrung das Leben schwer machen.
Bartsch blendet somit auch wesentliche Stammlinien seiner eigenen Vergangenheit aus.
Bartsch bleibt aber auch weiterhin ein interessantes Beispiel im Verdraengen.
„Zur historischen Wahrheit zaehlt, dass der Staat DDR und die fuehrende SED soziale, kulturelle und friedenspolitische Ziele setzten, fuer die sich viele Menschen … engagiert, einige aufgeopfert haben.“
Richtig hieran ist, dass es einen enormen sozialen Zusammenhalt in der Mangelwirtschaft DDR gegeben hat – eine Notwendigkeit, um sich einen gewissen Luxus zu ermoeglichen. Wo gab es gerade Baumaterial? Hast Du Beziehungen? Dies war die Lebenswirklichkeit, die aber nichts mit einer tollen Politik der „fuehrenden SED“ zu tun hatte, sondern dem Pioniergeist der Menschen. Sie hatten sich mit dem System abgefunden, weil ihnen gar nichts anderes uebrig blieb. Wer sich gegen das System aufbaeumte, wurde gnadenlos bekaempft und dies wusste jeder, der auch nur einmal etwas wollte von der „fuehrenden SED“. Das soziale Engagement war eine Ueberlebensnotwendigkeit, die rein gar nichts mit der SED zu tun hatte. Sie war im NS-System zu beobachten und eben auch in der DDR.
Bei alledem kommt man nicht umhin, dass in der Aufarbeitung der DDR Fehler gemacht wurden. Wenn Gysi aber meint, dass sie sich die vielen, die sich einer „Entwertung ihres Lebens ausgesetzt“ sahen, die DDR zurueck wuenschten, irrt er. Die Fehler wurden durch die Politik gemacht, denn es irritierte viele, dass ein Peter Hintze, den mit der Lebenswirklichkeit der DDR nichts verband, diese anfuehren wollte. Der Fehler lag darin, dass die Aufarbeitung durch einige wenige Politiker zum politischen Schlagabtausch genutzt wurde und dass ueber alle Stasi-Zutraeger mit einem Kamm gescheert wurde. Hier wurden unterschiedslos alle IM´s gleich behandelt – egal, ob jemand aus Karrieregruenden sein Umfeld ausspioniert hat oder weil ihm gedroht wurde, dass die Eltern die notwendige Behandlung nicht bekommen oder Kinder zum alkoholkranken Vater kommen.
Fuer Menschen aus der DDR hatte sich 1990 eine ganze Welt veraendert. Kinder mussten sich auf ein komplett neues Schulsystem einstellen, Eltern auf eine neue Arbeitswelt und einen drohenden Arbeitsplatzverlust. Alle zusammen auf einen neuen Staat. Die Veraenderungen waren notwendig, wenn sie auch noch so hart waren. Die uebergrosse Mehrheit wollte dies und hat dies auch akzeptiert. Die Form der Aufarbeitung ist jedoch bedenkenswert und sie waere eher akzeptiert worden, wenn sich Politiker wie Peter Hintze hier heraus gehalten haetten – Staaten wie Suedafrika, Guatemala oder Ruanda sind vielleicht doch bessere Wege gegangen.
All dies aendert jedoch nichts an der Tatsache, das der romantisierende Blick der PDS-Protagonisten eines beweist: sie sind bis heute nicht in der Demokratie angekommen und ihnen – vor allem allein – die Macht zu ueberlassen wuerde bedeuten, zurueck in den Sozialismus zu verfallen.