„Wasser auf die Mühlen der Nationalisten“
Beitrag von Viola Roggenkamp in CICERO 12/2016
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sehr geehrter Herr Schwennicke,
der oben bezeichnete Beitrag von Viola Roggenkamp gibt Anlass dazu, Widerspruch anzumelden. Der Beitrag ist nicht nur geprägt von einem sehr einseitigen Politikverständnis, sondern auch von der Wiederholung zahlreicher Vorurteile die heute gegen den Islam vorgebracht werden.
Frau Roggenkamp merkt zu Recht an, dass die Ereignisse auf der Kölner Domplatte in der Neujahresnacht 2015/16 ein katastrophales Staatsversagen darstellen. Noch mehr aber war es ein gesellschaftliches Versagen. Frauen – wie auch alle anderen Menschen – dürfen niemals Freiwild sein und in ihrer ureigensten Menschenwürde verletzt werden. Dass es sich hier um Flüchtlinge handelt, noch dazu aus dem islamischen Raum, ist schlimm – spielt jedoch keine Rolle. Daraus zu schliessen, dass diese Flüchtlinge von „unserer Zivilisation“ nichts halten, geht jedoch an der Sache vorbei. Junge Leute haben sich daneben benommen, aus welchen Gründen auch immer. Dies hat jedoch nichts mit ihrer Kultur und Herkunft zu tun.
Die Ausführungen zeigen, dass Frau Roggenkamp im Einklang mit vielen Autoren zu diesem Thema sich mit der islamischen Kultur nur ungenügend beschäftigt haben. Denn obwohl in arabischen Staaten ein Verschleierungsgebot besteht (kein Muss!!!), gehen gerade Männer dort mit ausgesuchter Höflichkeit mit Frauen um. Gewalt gegenüber Frauen oder eben auch billige Anmachen sind verpönnt und geächtet.
Frau Roggenkamp spricht von „faschistischen Strukturen des Islam“, der eine Unterwerfungskultur, Frauenverachtung und Homophobie innewohnt. Sie beweist einmal mehr, dass ihr Bild vom Islam nicht nur vorurteilsgeprägt ist, sondern sie auch vom Faschismus nur eine geringe Kenntnis hat. Es sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Faschismus und Nationalsozialismus, den Frau Roggenkamp offensichtlich meint, zwei unterschiedliche Denkrichtungen sind. Der Faschismus war die Ideologie Mousolinis, nicht der Hitlers. Nehmen wir die Herleitung von Matthew Lyons, um den Begriff des Faschismus näher zu beschreiben:
„Faschismus ist eine Form rechtsextremer Ideologie, die die Nation oder Rasse als organische Gemeinschaft, die alle anderen Loyalitäten übersteigt, verherrlicht. Er betont einen Mythos von nationaler oder rassischer Wiedergeburt nach einer Periode des Niedergangs und Zerfalls. Zu diesem Zweck ruft Faschismus nach einer ‚spirituellen Revolution‘ gegen Zeichen des moralischen Niedergangs wie Individualismus und Materialismus und zielt darauf, die organische Gemeinschaft von ‘andersartigen’ Kräften und Gruppen, die sie bedrohen, zu reinigen. Faschismus tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen. Oft – aber nicht immer – unterstützt er Lehren rassischer Überlegenheit, ethnische Verfolgung, imperialistische Ausdehnung und Völkermord. Faschismus kann zeitgleich eine Form von Internationalismus annehmen, die entweder auf rassischer oder ideologischer Solidarität über nationale Grenzen hinweg beruht. Normalerweise verschreibt sich Faschismus offener männlicher Vorherrschaft, obwohl er manchmal auch weibliche Solidarität und neue Möglichkeiten für Frauen einer privilegierten Nation oder Rasse unterstützen kann.“
Dem Faschismus wohnt damit zwar – aufgrund des tradierten Familienbildes – eine gewisse Form von Homophobie inne, frauenfeindlich war er jedoch nicht. Vielmehr baute er auf die Frau als gleichberechtigten Teil der Gesellschaft. Insbesondere ist der Faschismus nicht frauenfeindlicher als andere Kulturen, die auf eine Dominanz des Mannes im Aussenbereich setzen, wie dies u.a. auch im konservativen Judentum der Fall ist. Richtig ist: der Islam kennt eine strenge Trennung zwischen Mann und Frau – insbesondere im wahabitischen Einflussbereich.
Verstösst Verschleierung deshalb gegen „Freiheit und Sicherheit“? Mitnichten. Es ist eine grosse Errungenschaft der deutschen Demokratie, dass jeder Einzelne seine Kleidungsformen zumindest im privaten Bereich frei wählen kann. Niemand würde heute noch auf die Idee kommen, etwas gegen Drag Queens zu sagen ebensowenig gegen Frauen, die sich in Männerkleidung wohl fühlen. Die Vielfalt gehört in die hiesige Gesellschaft und diese Gesellschaft verträgt es deshalb auch, wenn sich Frauen verhüllen wollen – soweit sie dies aus freien Stücken machen, wie es der Koran im Übrigen ausdrücklich verlangt. Nur wenn hier Zwang ausgeübt wird, hat der Staat ein Recht in die persönliche Lebensgestaltung des Einzelnen einzugreifen.
Viola Roggenkamp
Die Debatte zeigt, dass es hier in der hiesigen Gesellschaft ein immanentes Feindbild gibt: der Muselmane ist der Mann mit dem Krummdolch, der ehrbare Christen umbringt. Dabei wird übersehen, dass auch die islamische Kulturvorstellung das Gebot des Respekts vor dem Andersdenkenden kennt – was in den Medien kollbortiert wird ist ein Negativbild einer ganzen Kultur die ihre Wirkung zeigt. Kaum ein Bericht in den Medien kommt ohne die Gruselgeschichten aus und Bücher wie Frauke Hard-Bey’s historische Darstellung der Staatswerdung auf der Arabischen Halbinsel werden bestensfalls in der Fachpresse besprochen. „Krisenliteratur“ findet dagegen massenhaft Eingang in die Buchbesprechungsseiten der Tagespresse.
Dies gilt ebenso für die von Frau Roggenkamp so bezeichnete „Unterwerfungskultur“. Gemeint ist hier scheinbar der hierarchische, senioritätsgetriebene Aufbau von Familien und Gesellschaften. Auch dies ist kein Alleinstellungsmerkmal des Islam (oder auch des Faschismus), sondern war im christlich-abendländischen Deutschland bis noch in die 1970er Bestandteil des Alltags und war eine der wesentlichen Ursachen für die Studentenrevoluten von 1968/69. Sie ist bis heute gegenwärtig in den meisten Gesellschaften Afrikas, Asiens und Lateinamerikas – und ganz nebenbei in vielen eher traditionell orientierten Familien Israels. Es ist also ebenso keine Besonderheit der arabisch-islamischen Kultur und man kann darüber streiten, ob die heute existierende teilweise respektlose Form des Umgangs in westlichen Staaten wirklich der richtige Ansatz ist. Vielmehr wäre eine Mischform wohl am idealsten ohne die überzogene Jugendfanatisierung der heutigen Zeit.
Etwas anderes ist es sicher mit den Kinderehen, die jedoch in Deutschland bis jetzt nur eine vereinzelte Zahl sind und im Übrigen in ihrer eklatanten Form eher unter den Paschtunen vorkommen. Was in Deutschland bislang aufgelaufen ist sind Ehen zwischen nahezu Gleichaltrigen und die ihre Grundlage darin haben, dass in den traditionellen Gesellschaften Ehen einerseits in sehr jungen Jahren geschlossen werden und andererseits ein anderes Mündigkeitsalter eine Rolle spielt. Ehen zwischen alten Männern und Tennagern sind dagegen bislang in Deutschland kaum bekannt. Gerade in der hier relevanten Konstellation hat Deutschland die Diskussion jedoch mit dem Sexualstrafrecht bereits hinreichend geführt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass man hier auch mal etwas grosszügiger sein muss. Es geht wohlgemerkt nicht um Zwangsehen und um Vergewaltigung in der Ehe, sondern letztlich um ganz normal Beziehungen zwischen Gleichaltrigen, die nur im europäischen Verständnis ein wenig zu jung geschlossen wurden. Daraus zu schliessen, diese Ehepaare müssten eigentlich sofort ausgewiesen werden, rührt aus einem Verständnis, dass all jenes was nicht dem eigenen Verständnis entspricht zu bekämpfen ist. Daraus wird auch kein Gewohnheitsrecht, denn dann dürfte sich das Heiratsalter unter den in Deutschland aufgewachsenen Zuwanderern nicht massiv nach oben bewegen. Es ist vielmehr eine Erkenntnis, dass sich die Zuwanderer ändern – nicht nur die aufnehmende Gesellschaft.
Frau Rogenkampp geht davon aus, dass Muslimen ein „anerzogener Judenhass“ innewohnt. Die Position ist nur dann zu verstehen, wenn man ihren persönlichen Hintergrund als glühende Verfechterin eines Benjamin Netanjahus kennt. Sie hat sich offenbar nur selten mit Muslimen unterhalten – vielmehr wissen Muslime relativ genau, dass ihre eigene Religion auf dem Judentum wie auf dem Christentum aufbaut. Dass sie ihre eigene Religion für die höchste Stufe der Entwicklung halten, ist kein Momentum des Islam. Auch der Papst hält bis heute alle Andersgläubigen für „verirrte Schafe“, die es zu schützen und am Besten zu bekehren gilt. In der von Papst Benedikt XVI. 2007 publizierten Karfreitagsfürbitte wird schliesslich ausdrücklich eine Bekehrung von Juden zum Katholizismus eingefordert. Und auch das Judentum sieht sich eher als die höchste Stufe der religiösen Entwicklung und anderen Religionen überlegen und zudem als eigenes elitäres Volk, in dessen Kreis man nicht einmal durch die Ablegung des Glaubensbekenntnisses aufgenommen wird. Wenn Roggenkamp also so tut, als würden die Muslime hier anders denken als sie – bekennende Jüdin – selbst, so hat sie sich selber nicht verstanden.
Der von ihr propagierte „anerzogene Judenhass“ ist darüber hinaus auch kein Hass auf die Juden, sondern vielmehr ein Zwist in einer historisch begründeten Streitsache mit dem Staat Israel. Der Ausgangspunkt ist, dass die europäischen Staaten und die USA (!!!) die Gründung des Staates Israel beschlossen haben auf einem Territorium, welches nur aufgrund des Kolonialismus ihrer Verfügungsgewalt unterstand und deren Ursache in der europäischen Shoa gelegen ist. Man würde dies heute anders angehen – aber nun ist der Staat Israel nun einmal da und kann auch nicht verrückt werden. Was jedoch, und darauf begründet sich bis heute die Ablehnung des Staates Israel (nicht der Juden) in den muslimischen Gesellschaften, verrückt werden kann ist die kompromisslose Haltung Israels gegenüber allen Friedensplänen der vergangenen 25 Jahre. Insbesondere Ministerpräsident Netanjahu torpediert alle Bemühungen in diese Richtung, nicht nur durch die faktische Ablehnung der 2-Staaten-Lösung, sondern auch durch die fortwährende Siedlungstätigkeit im Westjordan und den weiteren Ausbau der Grenzbefestigung sowie die Einreisesperren für Palästinenser in israelischen Gebiet. Der Autonomiebehörde werden ihr zustehende Zolleinnahmen vorenthalten und eine Rückkehrmöglichkeit der Palästinenser ausgeschlossen. Und Netanjahu geiselt – wie zuletzt kurz vor Weihnachten – alle Behandlungen der Siedlungstätigkeit im Westjordan – als anti-israelisch und versucht auf andere Konflikte abzulenken.
Dies fördert den „Hass“ – besser jedoch die Ablehnung – der derzeitigen israelischen Regierung. Die Araber haben sich längst mit der Existenz des Staates Israel abgefunden und fordern die Anerkennung eines Staates Palästina, der lebensfähig ist und kein Fleckenteppich mit israelischen Einsprengseln. Sie wollen eine Heimstatt ihrer eigenen Kultur in dem tri-religiösen Raum von Samaria und Judaea.
Die „islamisch-arabische Welt“ wird deshalb dann Ruhe geben, wenn auch Israel das Existenzrecht Palästinas als Staat, nicht als Rumpfgebilde, anerkennt. Momentan ist Netanjahu noch nicht dazu in der Lage, aber er und seine Rechts-Regierung sind aktuell das wesentliche Hindernis auf dem Weg zu einem Ausgleich.
Roggenkamp vergisst somit die Verantwortlichkeit der israelischen Regierung in dem Trauerspiel des nahöstlichen Friedensprozesses und verdeutlicht einmal mehr, wo sie eigentlich selber steht: am rechten Rand des israelischen politischen Spektrums.
Roggenkamp hat jedoch in einem Punkt durchaus Recht: das gewaltige „Hilfssystem“, oder auch die Arbeitsbeschaffungsmassnahme der Gutmenschen, ist eine Fehlentwicklung wie sie wohl nur in Deutschland stattfinden kann. Natürlich sind viele Flüchtlinge (die im Übrigen sehr wohl zunächst in der Opferrolle gesehen werden müssen) durch Vertreibung und Flucht traumatisiert und brauchen einen Raum, um zur Ruhe zu kommen. Ob in jedem Fall auch eine Therapie angezeigt ist, ist jedoch fraglich. Diese „Hilfsmaschinerie“ geriert eine Umwelt, in der die Rückführung zur Unmöglichkeit wird wie die Debatte um den jüngsten Sammelflug nach Afghanistan gezeigt hat. Dies ist jedoch nicht im Glauben der Flüchtlinge begründet, sondern in der scheinbar zwischenzeitlich deutsch-immanenten Sichtweise der Deutschen, dass nur ein Ausländern der in Deutschland ist ein guter Ausländer ist und man ausserhalb der eigenen Gestaden nicht existieren könne. Deutschland ist gut, der Rest der Welt … naja, bestensfalls ein Notaufnahmelager.
Roggenkamp nutzt diese berechtigte Kritik am deutschen Wesen jedoch fälschlicher Weise zu einer Generalabrechnung mit dem deutschen Staat. „Der Staat hat bei Bildung, öffentlicher Sicherheit, sozialem Wohnungsbau in den vergangenen zehn bis 15 Jahren rigoros gespart“ – die Aussage ist ebenso falsch wie dumm. Schaut man sich internationale Vergleichsstudien an, dann wird deutlich: Deutschland ist ein Bildungsstandort erster Güte. Auch die Sicherheit ist im internationalen Vergleich auf einem der höchsten Stände und alle Indikatoren sind eher zurück gegangen was die Kriminalität im Lande anbelangt. Gespart wurde, aber auch die Effizienz erhöht und nie ging es den Menschen in Deutschland besser als 2015 – auch wenn das Gejammere etwas anderes suggerieren mag.
Natürlich müssen Flüchtlinge auch untergebracht werden und der Markt treibt die Preise für Unterbringungsmöglichkeiten in die Höhe, wenn diese knapp sind. Ist dies ein Systemfehler, gar ein Ausdruck für Staatsversagen? Nein, es ist systemimmanent in einer freien Marktwirtschaft der sich auch der Staat nicht verschliessen kann. Offenbar ist Frau Roggenkamp jedoch der Ansicht, dass der Staat für seine Aufgabenerfüllung wahlweise die Grenzen dichtmachen oder Zwangsenteignungen durchführen sollte. Genau Letzteres würde jedoch die Akzeptanz entsprechender Aufnahmen massiv minimieren – vielleicht will Frau Roggenkamp aber dies auch.
Deutschland tut gut daran, sich auch seiner Leistungen zu bekennen: Es ist nun einmal eine der grössten Wirtschaftsmächte, Deutschland ist Fussballweltmeister 2014 und es hat 2015 eine gewaltige Kraftanstrengung unternommen, um 1.5 Millionen Flüchtlinge in 2015 aufzunehmen und unterzubringen. Muss man sich für die Willkommenskultur am Münchner Hauptbahnhof schämen? Muss man sich für eine grandiose Fussballweltmeisterschaft schämen? Nein, denn es ist auch eine Leistungsschau einer Nation und in keinem anderen Staat der Welt würde man auf die Idee kommen, allein dieses Wertegefühl zu negieren. Mit der Toleranz, historisch aber auch einem richtigen Wertegefühl entspringend, zieht in Deutschland nicht der Faschismus ein (siehe oben), sondern es macht die Geellschaft bunter – eine Buntheit, die in den USA, Australien und Grossbritannien durchaus zu schätzen gewusst wird und mit deren Herausforderungen man umzugehen versteht. Dies als Gleichgültigkeit zu sehen und gar in einer Linie mit der Progromnacht des 9.11.1938 zu sehen, ist eine an den Haaren herbeigezogene Sichtweise, die nur einer fehlgeleiteten Ideenwelt entspringt und Deutschland auf die ewigwährende Schuldrolle reduzieren will. Dabei geht es gar nicht darum, ob nun genug Buse getan wurde – die heutige Generation hat mit den Verbrechen des Nationalsozialimus, der Shoa, nichts zu tun. Die Erinnerungskultur ist wach und man ist sich der Geschichte und der daraus entspringenden Verantwortung bewusst. Aber man will auch wieder stolz auf die eigene Nation sein, was keinen Nationalismus begründet, aber eine Heimstatt, einen Rückzugsraum in einer sich rasant verändernden Welt bedeutet. Israel macht dies ebenso vor wie alle anderen Länder – Roggenkamp für den Deutschen hier aber für die gleiche Haltung ein schlechtes Gewissen einreden.
Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob man Menschen jüdischen Glaubens besonders erwähnt, die sich in den Flüchtlingscamps einsetzen – Juden in Deutschland sind Deutsche, unabhängig von ihrem Glauben ebenso wie die in Deutschland lebenden Hindus, Moslems, Buddhisten, die alle ebenfalls keine gesonderte Erwähnung finden oder einfordern. Niemand spricht den Juden Menschlichkeit ab; eine Charlotte Knobloch als die bekannteste Vertreterin der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland wird für ihr soziales Engagement immer wieder hervorgehoben.
Allerdings müssen die Juden auch nicht mehr integriert, schon gar nicht assimiliert, werden. Sie sind elementarer Bestandteil der hiesigen Kultur, sprechen die Sprache als Muttersprachler und sind hier aufgewachsen. Was will man an dieser Stelle integrieren – es sei denn, einige Personen wollen sich nicht integrieren, weil sie sich immer noch selbst ausserhalb der Gesellschaft stellen wollen. Dass einige Juden aus Frankreich heute nach Israel auswandern mag andere Ursachen haben und wie der Fall Ignaz Bubis, der in Israel begraben werden wollte, auch Gründe die für Deutschland in diesem Fall beschämend sind. Aber gerade für Deutschland ist es eine besondere Entwicklung, dass Menschen jüdischen Glaubens, die nach 1945 Deutschland verlassen und immer einen weiten Borgen um ihre ehemalige Heimat gemacht haben, heute wieder den deutschen Pass ganz bewusst beantragen. Roggenkamp übersieht dies bewusst.
Die von Roggenkamp beklagte „Entdemokratisierung“ beruht auf einer ganz anderen Entwicklung: der Political Correctness. Sie verbietet zuspitzende Köpfe wie Franz Josef Strauss, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Guido Westerwelle oder Gregor Gysi und Joseph Fischer. Nur daraus geriert sich, dass die sogenannten „besorgten Bürger“ in die rechte Ecke der AfD oder Pegida gestellt werden und diese Gleichsetzung ist falsch.
Aber es geht nun gerade auch nicht um Assimilation, die in der Aufgabe eigener Werte enden würde. Assimilation wollte auch nie jemand bei Juden, diese Sichtweise Roggenkamps ist falsch – früher weil man Juden bewusst ausgrenzen wollte, und heute weil man sie als integrativen Bestandteil der hiesigen Gesellschaft empfindet mit den gleiche Kultur- und Wertestandards. Hanna Arendt zu bedienen, diese einzigartige Theoretikerin die bereits 1975 verstorben ist, ist deshalb auch abwegig – sie kannte die heutige Situation gar nicht. Roggenkamp vermischt hier die unterschiedlichen zeithistorischen Stränge zwischen der Judenverfolgung und der Fluchtbewegung nach Europa; beide Themen haben nichts miteinander zu tun.
Roggenkamp spricht jedoch, wenn auch nur indirekt, ein grundsätzlich falsches Verständnis der Flüchtlingspolitik an: Flüchtlinge, noch dazu im Anerkennungsverfahren, müssen und sollen nicht integriert werden. Sie sollen ganz gezielt auch darauf vorbereitet werden, in ihre Heimatländer zurückzukehren wenn sich die Lage positiv verändert oder eben nicht als Flüchtlinge anerkannt werden können. Aber es ist dennoch richtig, ihnen ein Mindestmass an Schul- und Berufsbildung zukommen zu lassen, sie nach den ihnen gegebenen Möglichkeiten arbeiten zu lassen – denn dadurch erwerben sie Fähigkeiten, die auch im Re-Integrationsprozess eine zentrale Rolle spielen.
Frau Roggenkamp macht für all dies die Kanzlerin verantwortlich: „Es war Aufgabe der CDU/CSU, nationalistische Strömungen einzusammeln und zu dämpfen. Dazu ist diese Partei mit Angela Merkel als Vorsitzende nicht mehr imstande.“ Die Aussage ist ebenso falsch wie sie abwegig ist. Roggenkamp ist hier bereits der historisch und politikwissenschaftlich widerlegten Annahme erlegen, dass die CDU und die CSU die alleinigen konservativen Parteien in Deutschland sind. Fakt ist, dass die FDP bis zur Verabschiedung der „Freiburger Thesen“ die Partei in Deutschland war, die die rechten Kräfte am stärksten absorbiert hatte – in Ostdeutschland war hierfür mit der NDPD als zweite liberale Partei eine gesonderte Organisation etabliert worden. Gleichzeitig ist die SPD, so progressiv sie sich auch in ihrer Parteiführung gibt, eine durch und durch konservative Partei, die die Integration national-konservative Kräfte geschickt übertüncht.
Roggenkamp übersieht aber auch, dass das politische Spektrum insgesamt an Bindungswirkung verloren hat – Wahlprognosen sind heute eher Lottoziehungen als wissenschaftlich fundierte Analysen. Dies hängt u.a. damit zu tun, wie die zuvor bereits benannten Charakterköpfe in der Politik abhanden gekommen sind, die aber die Bevölkerung verlangt und auch damit umgehen kann. Sicher, auch die Politik der Kanzlerin zur Öffnung der Grenzen hat die AfD stark gemacht – ihr Wachstumskurs war aber auch bereits davor unübersehbar. Die Wahlen in Sachsen, Thüringen in Brandenburg waren bereits 2014 und in Hamburg und Bremen wurde in 2015 vor der „Flüchtlingskrise“ gewählt. Die Öffnung der Grenze war also maximal ein Verstärker, nicht die Ursache für das Erstarken der rechtspopulistischen Partei.
Roggenkamp begeht auch den grundlegenden Fehler, die AfD als „Feind der Demokratie“ zu brandmarken. Dies sind sie ganz und gar nicht, denn sie absorbieren in einem demokratischen System Wählergruppen die sich bei den etablierten Parteien nicht mehr wiederfinden. Wie anders ist sonst der Rechtsschwenk eines Christian Lindner nachvollziehbar, der genau auf diese Wählergruppen abzielt und damit an Traditionen der FDP anknüpft, die mit dem Freiburger Liberalismus eigentlich als überwunden geglaubt schienen.
Die CDU, weniger die CSU, hat in der Tat sich weit nach Links bewegt, beispielsweise die marktradikalen Ansätze im Gesundheitssystem über Bord geworfen und sich in gesellschaftspolitischen Fragen weit geöffnet. Ein offen schwuler Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium wäre unter Helmut Kohl nicht denkbar gewesen. Angela Merkel wollte koalitionsfähig sein für SPD und Grüne – obwohl die Grünen mit ihr bereits 2005 eine Koalition einzugehen bereit waren, dies jedoch am Gegensatz zwischen Grünen und FDP gescheitert ist. Hier hat die Partei unter Angela Merkel ihr konservatives Gesicht verloren, in der Flüchtlingsfrage hat sie es wieder zurück gewonnen.
Widmen wir uns zum Schluss der AfD, jenen „Feinden der Demokratie“ wie Roggenkamp meint. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Partei ein Übergangsphänomen ist wie ihre Vorgänger mit den vielen Namen Schill Partei, Piraten oder sonstige Geburten. Sie bieten dem Wähler ein Druckventil an, um auf Landes- und Europaebene der Elite zu zeigen: wir können auch anders. Mag die Partei auch in den Bundestag im Herbst 2017 einziehen: sie zerlegt sich in den Landesparlamenten bereits selbst. Sachsen, Brandenburg, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Thüringen … woimmer die AfD Fraktionen bildet fällt sie durch interne Streitigkeiten auf.
Was Merkel, Gabriel & Co. bislang nicht geschafft haben ist eine Antwort zu finden auf die Herausforderung AfD – hier ist Roggenkamp zuzustimmen. Innerhalb der CDU sind jedoch bereits Stimmen hörbar, die sich gegen Merkels Kurs stellen. Es ist nicht nur der Beschluss zum Staatsangehörigkeitsrecht des Essener Bundesparteitages, sondern auch Merkels eigene vorsichtige Absetzbewegung von der bisherigen Flüchtlingspolitik die nachweisen, dass die Veränderungen durch den Aufstieg der AfD an der Profilbildung der Union nicht spurlos vorübergegangen sind. Es ist die CDU/CSU, die die Zügel in der Frage von Abschiebungen anzieht – die SPD dackelt hier lediglich hinterher und die Grünen haben es noch nicht vermocht, die zweite Seite der Medaille „Zuwanderung/Flüchtlingspolitik“ ihren Mitgliedern zu erklären.
Sicher, das überholte Gesellschaftsbild der AfD wird diese CDU nicht übernehmen wollen. Aber ihre Definition von Interessen, von Zuwanderung und Flucht, ihre Politik der wertorientierten Integration statt der rot-rot-grünen Belanglosigkeit und der Stärkung der deutschen Position im globalen politischen System lassen erkennen, dass sie hier gelernt hat die Menschen ein Stück weit zu verstehen. Eine Rückbesinnung auf die Nation im positiven Sinne als Wertegemeinschaft und Rückzugsraum steht noch aus, aber sie ist absehbar.
Merkel wird diesen Kurs nicht mehr vollenden – sie wird zwar im kommenden Jahr ihre vierte Amtsperiode antreten, aber sie ist bereits im Spät-Herbst ihrer Kanzlerschaft angelangt und sie bereitet den sanften Machtübergang vor. Männer wie Thomas Strobl, aber auch Jens Spahn, sind in den Startlöchern.