Vor ueber drei Jahren schrieb ich einen Beitrag unter der Ueberschrift “Warum FDP waehlen sich nicht mehr lohnt“. Damals war noch Guido Westerwelle Parteivorsitzender, die Partei jedoch selbst nur noch eine inhaltsleere Huelle. Am vergangenen Wochenende ist nun das unvermeidliche passiert und die Partei, die wohl die laengste Zeit von allen Parteien in der Bundesregierung Mitglied war, ist aus dem Bundestag heraus gewaehlt worden. Es ist der tiefe Absturz einer einst stolzen Regierungspartei.

Ausgangspunkt Mannheim 2002

Der Ausgangspunkt liegt in Mannheim 2002. Die Stadthalle war voll von “18”-Aufklebern und symbolisierten die inhaltliche Entleerung der Partei, die sich noch 1995 mit den “Wiesbadener Grundsaetzen” als Programmpartei etabliert hatte. Guido Westerwelle war die dominante Figur der Partei – “Auf jedem Schiff das dampft und segelt, gibt es einen der die Sache regelt”. Er versuchte einen Wahlkampf aus Nordrhein-Westfalen zu kopieren und vergas die Inhalte. Westerwelle hatte es geschafft, die Partei auf das Thema Steuerreduzierung zu beschraenken. Natuerlich, er hatte Wahlen gewonnen seit seinem Amtsantritt. Dies lag aber immer weniger an ihm als an seinen politischen Gegnern. Dabei kam ihm zu gute, dass er einer der wenigen wirklich guten Rhetoriker dieser Republik ist und so die programmatische Schwaeche uebertuenchen konnte – eine Begabung, die er mit Gregor Gysi teilt. Sein Ziel stand lange fest und hies das Auswaertige Amt.

Die Schuld jedoch alleine auf den ehemaligen Parteichef abzuladen, waere jedoch nicht nur ungerecht, sondern auch zu kurz gegriffen. Westerwelle war zwar der klassische Vorturner, aber er hatte im Hintergrund genuegend Claquere, denen die inhaltliche Arbeit zu muehsam war und die viel eher auf die Posten der Macht gestarrt haben. Niemand setzte dem Agieren des Vorsitzenden etwas entgegen – ganz im Gegenteil, besoffen sich die Funktionaere und Delegierten an den rauschen Guido-Festspielen.

Eines sollte man aber betonen: Der Fehler war nicht die 18 und das Guidomobil. Der Fehler war die thematische Verengung. Denn waehrend Juergen Moellemann in NRW mit der “8” und dem Spruch “Rot-Gruen staut, Moelli baut” ein inhaltliches Thema auf leicht verdauliche Weise platzierte, war Westerwelles FDP nur mit der “18” praesent.

Der Anfang vom Ende: Wahlen 2009

Waehrend das Unheil bereits 2002 begann, war die Partei dem Untergang geweiht in dem Zeitpunkt ihres groessten Triumpfes. Mit 14.3 Prozent zog sie 2009 in einer Staerke in den Berliner Reichstag ein, die zuvor nie jemand gekannt hatte. Anstatt genau diesen – absehbaren – Triumph vorzubereiten, war man nach dem Wahltag vollkommen ueberrascht, dass es zu Koalitionsverhandlungen kam. Die Kanzlerin hatte hingegen vorgesorgt, ihre Punkte vorbereitet und die Deadline gesetzt: Sie hatte am 3. November 2009 eine Einladung in den U.S.-Kongress erhalten und wollte hier bereits als gewaehlte und vereidigte Kanzlerin auftreten. Die FDP lies sich nicht nur darauf ein, sondern sie hatte nicht einmal einen Ansatz davon geahnt, wie man dieses Momentum fuer den Aufbau eines gewissen Drucks gegenueber Merkel nutzen konnte. Nur so sind die kapitalen Fehler zu erklaeren:

  • Die FDP war mit dem zentralen Steuersenkungsversprechen in den Wahlkampf gezogen und wieder heraus gekommen. Die andere Seite eben jener Medaille, die Steuervereinfachung, hielt zwar noch Hermann Otto Solms aufrecht – in der Rhetorik der fuehrenden Koepfe in Partei und Fraktion hatte sie jedoch keinen Nachhall mehr gefunden.
    Bereits im Koalitionsvertrag war das Wahlversprechen “Steuersenkung” deutlich eingeschraenkt und vom Vorhandensein von Spielraeumen abhaengig gemacht worden. Die Kanzlerin kassierte dies dann kurze Zeit spaeter vollkommen mit dem Hinweis auf die Staatsverschuldung. Was die FDP nicht erkannte, dass Angela Merkel genau hier die Stimmung im Volk wiederspiegelte. Und anstatt das Thema “Steuervereinfachung” voran zu treiben und damit dies auch als Alleinstellungsmerkmal zu verkaufen, schliefen Partei und Fraktion hier vollstaendig.
  • Die FDP hatte sich zwar das Gesundheitsministerium gesichert und wollte die Krankenversicherung komplett umbauen. Geschehen ist unter zwei Ministern – Roesler und Bahr – in vier Jahren nichts. Es wurden nicht einmal Diskussionsprozesse eingeleitet, an denen man haette sich reiben koennen. Die Minister waren schlicht damit ueberfordert, das vorher gepriesene Praemienmodel auch so auszuformulieren, damit es die Chance der Diskussion ueberhaupt hatte.
  • Und man machte auch noch grob handwerkliche Fehler. Einen Politiker in ein Ministerium einzusetzen, dessen Abschaffung er noch kurz vorher als ceterum censio gefordert hatte, war ebenso wenig zu vermitteln wie dass Guido Westerwelle seinen alten Bueroleiter genau in jenen Staatssekretaersposten einsetze, die die Partei zuvor rund zwei Jahre massiv bekaempft hatte.

Und selbst wenn die FDP deutliche Verbesserungen wie bei den Hinzurechnungsvorschriften fuer Hartz IV-Empfaenger sich eigentlich auf die Fahnen schreiben konnte – verpasste sie es schlicht sich damit nach aussen hin zu identifizieren. Viel zu sehr war noch die Debatte im Kopf der Menschen, in der Westerwelle die “spaetroemische Dekadenz” bemuehte, um auf Ungereimtheiten des deutschen Sozialstaates hinzuweisen. Die Debatte war richtig, nur wurde sie vom Falschen und mit den falschen Toenen angestossen. Westerwelles Manko und jenes der FDP: sie kam als sozial kalt herueber, die sich vor allem um die “Besserverdienden” kuemmerte. Ein Bild, welches jedoch auch durch die Medien und die linken Parteien immer wieder bemueht wurde.

Fehlbesetzungen 2009

Neben diesen inhaltlichen Fehlern kamen jedoch grundlegende personelle Fehlbesetzungen zum tragen, die die FDP mit einer falschen Debatte belegten:

  • Westerwelle selbst hatte sich zum Ziel gesetzt, der zweite Hans-Dietrich Genscher zu werten. Obwohl zuvor mit Aussenpolitik wenig befasst und auch nicht erkennend, dass der Glanz des Amtes zwischenzeitlich verblasst war, versteifte er sich darauf, dieses Amt zu uebernehmen. Merkel haette ihm 2009 auch ein Superministerium Wirtschaft und Finanzen ueberlassen – nur wollte Westerwelle dieses sein Leib-und-Magen-Thema ausdrueckende Amt gar nicht haben. Er machte einen Kurswandel, der ihn zudem haeufig fern der deutschen Politik band. Es stellte sich daher die Frage, warum er die Steuer- und Wirtschaftsfrage dermassen in den Mittelpunkt gerueckt hatte, wenn er gar nicht die Verantwortung hierfuer uebernehmen wollte.
  • Westerwelle traf zudem zwei katastrophale Fehlentscheidung: seinen engen Freund Martin Biesel als Staatssekretaer im Auswaertigen Amt und Dirk Niebel als Entwicklungsminister.

Die FDP war es, die Frank-Walter Steinmeier harsch dafuer kritisiert hatte, als er einen dritten Staatssekretaer als quasi Herr ueber ein imaginaeres Vizekanzleramt installierte. Westerwelle machte nun genau dies, was er zuvor kritisiert hatte. Werner Hoyer, einst ein enger Vertrauter des frueheren FDP-Chefs, bezeichnete die Position 2007 als “haarstraeubendes Unding”.  Westerwelle und die FDP wurden hier an ihren bisherigen Worten gemessen, die sie ueber Bord geworfen hatten. Organisatorisch haette sich das Thema Koordination auch anders loesen lassen – Westerwelle suchte hier den einfachsten Weg und musste sich die Kritik gefallen lassen. Es war eines der ersten Wahlversprechen, die er brach.

Dirk Niebel hatte noch im Vorfeld die Abschaffung des Entwicklungsministeriums ultimativ gefordert. Auch wenn dies in der Diskussion immer wieder hochkam, war es weniger die Fachfremdheit Niebels – dies ist fuer Bundesminister nichts ungewoehnliches, auch Genscher war bei Amtsantritt kein Aussenpolitik. Aber das genau jener, der die Entwicklungspolitik als “Weltsozialpolitik” geiselte und das Ministerium schlicht fuer ueberfluessig hielt, nun diesen Posten uebernimmt, war nicht erlaeuterbar. Niebel hierzu spaeter: “Wir haben nie die Abschaffung der Entwicklungszusammenarbeit gefordert, sondern wir waren immer gegen die Art und Weise, wie Entwicklungszusammenarbeit in der Vergangenheit betrieben wurde.” Eine Wende nicht nur um 180 Grad, sondern fast schon dreimal um sich selbst. Und auch hier ging dann unter, dass Niebel es geschafft hatte, die Struktur der staatlichen Entwicklungshilfe grundlegend zu restrukturieren und Doppelstrukturen zu beseitigen.

Die FDP hatte sich im Kreis gedreht und hierbei verkannt, dass Politik auch erklaerbar sein muss. Sie hat nicht nur ihre Anhaenger allein gelassen, sie hat auch die Munition fuer die Todesschuesse auf sich selbst frei Haus geliefert.

Hasstiraden allerorten

Was dabei verwunderlich ist, ist der Hass und die Haeme, die der FDP in Medien und Bevoelkerung entgegen getreten sind. Auf Google+ schreibt etwa ein User

Inzwischen hat wohl jeder in Deutschland begriffen, dass die FDP massgeblich dafür verantwortlich war, dass halb Deutschland wegen massenhafter Leiharbeit, Zeitarbeitsverträgen, Niedriglöhnen, …völliger Unplanbarkeit des eigenen Lebens, sozial fast aus der Balance geraten ist. 

Keine andere Partei musste sich in dieser Monstranz Klientelismus und Lobbyparteitum vorwerfen lassen. Dabei versuchen beispielsweise die Gruenen seit Jahren, ihre Klientel der Solarbranche bei Laune zu halten und fordern trotz der fortwaehrenden Pleiten in diesem Industriezweig, hier immer wieder staatliches Geld einzupumpen. Wenn zwei das Gleiche, muss es jedoch noch lange nicht das Gleiche sein.

Selbst die politischen Gegner von SPD und Gruenen konnten sich nicht zurueck halten und machten ihrer unverhohlenen Freude ueber das Ausscheiden der FDP deutlich. Diese Hasstiraden, die durch das Web wabbern, sind eigentlich nicht mehr erlaeuterbar, da hier der Boden der demokratischen Willensbildung und Meinungsaeusserung verlassen wird.

Die Welt meinte hierzu:

Dabei ist es so einfach. Eine Partei, die glaubt, dass jeder Mensch selbst besser mit dem Geld umgehen kann als der Staat, eine Partei, die daran glaubt, dass Individualität jedem Wir stets vorausgeht, eine Partei, in der Gerechtigkeit auch Leistungsgerechtigkeit für diejenigen bedeutet, die mit 70-Stunden-Wochen und passionierter Selbstausbeutung in Wirtschaft, Forschung und Kultur diese hochkomplexe Gesellschaft auf hohem Niveau am Leben erhalten. Eine Partei, in der freie Menschen über Freiheit reden und nicht der Stammtisch der Ärzte und Apotheker. Eine Partei, die Moderne und Tradition vor allem als Verpflichtung für eine aufregende Zukunft versteht. Eine liberale Partei, die den Bürgerrechten des Einzelnen mehr Bedeutung zumisst als den Kontrolltendenzen jener linken Parteien, die den Einzelnen in ein Umerziehungskorsett zwängen wollen.

Aber dies kann es allein nicht sein, waren doch Hans-Dietrich Genscher oder Walter Scheel Identifikationsfiguren weit ueber die Parteigrenzen hinaus. Und deshalb kann die Partei des desoriganisierten Liberalismus ueber diese Tiraden nicht einfach hinweg gehen, will sie wieder zumindest von Teilen der Bevoelkerung geliebt werden. Die Wahrnehmung haengt auch eng mit den Personen zusammen. Guido Westerwelle wurde nicht als Mann wahrgenommen, an den man sich virtuell anlehnen kann. Anders als beispielsweise Angela Merkel hat er nie versucht, seine Politik verstaendlich zu machen – in die Wohnzimmer vorzudringen und mit den Menschen beim Kaffee zu plauschen. Er war ein Rambo und auch sein Nachfolger hatte, obwohl leisere Toene angeschlagen, nie wirklich die Herzenswaerme ausgestrahlt. Die Riege der Politiker liese sich weiter fortsetzen bis in die zehnte Reihe. Es fehlt an der notwendigen Empathie, sich mit den Problemen der Menschen auseinander zu setzen.

Dies liegt aber auch daran, dass in der Partei – und zunehmend auch in allen anderen Parteien – eine Generation heran gereift ist, die nichts anderes als Politik in ihrem Lebenslauf stehen hat. Politik ist aber, noch staerker als im allgemeinen Berufsleben, eine Ellenbogengesellschaft, die keine Freunde kennt. Auch hier wieder ist die FDP ein Beispiel: die vielgeredete Freundschaft der Boygroup war relativ rasch zu Ende nach dem Sturz Westerwelles und heute haben sich die Drei nichts mehr zu sagen.

Die Partei wuerde deshalb gut daran tun, dem Versuch zu widerstehen, erneut eine Kaste von Berufspolitikern in die erste Reihe zu waehlen – nur sieht genau dies derzeit anders aus.

Neuaufstellung?

Bereits einen Tag nach der Wahlniederlage trat der Parteivorstand zurueck – und rief mit Christian Lindner einen neuen Kandidaten – oder Messias – aus. Betrachtet man die Parteihomepage, so koennte man zu dem Verdacht kommen: es gibt keinen anderen Kandidaten. Es hat den Anschein, dass hier das chinesische Prinzip die Runde macht und das Politbuero sich auf den naechsten Vorsitzenden verstaendigt.

Dabei wird auch uebersehen, dass Lindner seit Jahren zum Parteiestablishment gehoert. Er ist als juengster Kandidat unter Moellemanns Aegide 2000 in den Duesseldorfer Landtag eingezogen und wurde 2004 Generalsekretaer in NRW. Er hat sich nie dagegen gewandt, dass die Partei ihre thematische Bandbreite verengt und trat 2011 vor allem aufgrund persoenlicher Differenzen in der Boygroup als Bundes-Generalsekretaer zurueck.

Mit seiner Kandidatin fuer das Generalsekretaersamt, die hessische Noch-Bildungsministerin Nicola Beer, wuerden zudem zwei Personen die Geschicke der Partei lenken, die mit Politik gross geworden sind. Beide sind nie einer anderen Berufstaetigkeit nach gegangen, auch wenn im Lebenslauf von Lindner zwei gescheiterte Firmen stehen und bei Beer die Zulassung als Rechtsanwaeltin. Es ist die Kategorie von Politikern, die gerade in der FDP am 22. September 2013 erst gescheitert sind – die ewigen Berufspolitik. Beer gehoert dem Bundesvorstand der Partei ebenso wie Lindner seit Jahren an und beide tragen damit genauso wie der Parteivorsitzende oder Spitzenkandidat zur Niederlage ihre Verantwortung bei.

Unabhaengig, ob Lindner und Beer – was wahrscheinlich ist – gewinnen, wird die Neuaufstellung jedoch nicht durch das auswechseln von Personen bewerkstelligt. Vielmehr muss die inhaltliche Neuausrichtung mit einer Verbreiterung einher gehen. Man kann es fuer die Partei nunmehr einen Gluecksfall nennen, dass sie nur noch in Sachsen in Regierungsverantwortung ist und sich um die reale Umsetzung nicht kuemmern muss. Sie kann sich vollauf darauf konzentrieren. Ob sie die kommenden Wahlen dabei schon punkten kann, ist eher fraglich.